Jung und einsam: Projekt gegen Einsamkeit schafft Begegnungen
Einsamkeit betrifft nicht nur ältere Menschen. “Girls’ Walks” und Besuchspatenschaften zwischen Jung und Alt schaffen neue Begegnungen und können Einsamkeit entgegenwirken – auch bei jungen Menschen.
An der Südseite der Untermainbrücke in Frankfurt stehen etwa 20 Frauen in einem großen Kreis, immer wieder stoßen einzelne hinzu. „Seid ihr auch zum ersten Mal dabei?“, „In welchem Stadtteil wohnst du?“, ist aus mehreren Richtungen zu hören. Kurz nach 20 Uhr melden sich zwei junge Frauen zu Wort, begrüßen die Anwesenden. Dann startet die Gruppe ihren Spaziergang am Main entlang.
Vorne gehen Vivien Eller und Gabriella Kinefss. Seit April organisieren sie regelmäßig „Girls’ Walks“ in Frankfurt. Auch zum Yoga oder Boxen haben sie schon eingeladen via Instagram. Unter dem Motto „Girls Talking & Walking“ gehen in zahlreichen deutschen Städten Frauen gemeinsam spazieren. 51 Gruppen listet die Kölner Initiative auf ihrer Webseite auf. Auch in Frankfurt ist das Interesse groß. Auf Instagram hat „Frankfurt Girls Walk & Talk“ mehr als 4.000 Follower. An diesem Abend sind etwa 25 Frauen dabei. Alle sind gekommen, um neue Kontakte zu knüpfen.
Einsamkeit ist eine subjektive Größe
„Manche Teilnehmerinnen erzählen, dass es schwierig ist, neue Leute kennenzulernen, selbst wenn man aus Frankfurt kommt“, berichtet Kinefss. Ob das zu Einsamkeit führt? Einsamkeit sei eine subjektive Größe, erklärt Eva Leiss, Koordinatorin des Vereins „Freunde alter Menschen“ in Frankfurt am Main. Einsamkeit bedeute: „Ich habe weniger Kontakte als ich glaube, dass mir guttut.“
Dass Einsamkeit oft mit älteren Menschen assoziiert wird, ist kein Zufall: Im Alter verlieren viele ihren Partner, sind weniger mobil. Freundschaften gingen auseinander, weil gemeinsame Aktivitäten nicht mehr möglich seien, erklärt Leiss. Laut dem Einsamkeitsbarometer der Bundesregierung berichteten von 1992 bis 2017 immer diejenigen von der höchsten Einsamkeitsbelastung, die 75 Jahre oder älter waren.
Im Jahr 2020 änderte sich das: In Pandemie-Zeiten waren es die 18- bis 29-Jährigen, von denen die meisten (31,8 Prozent) angaben, häufiger als manchmal einsam zu sein. In den Folgejahren haben mehrere Studien versucht, die Einsamkeit jüngerer Menschen in Deutschland zu beziffern. Nach den Maßstäben des Einsamkeitsbarometers seien im vergangenen Schuljahr acht Prozent der Jugendlichen in den Klassenstufen 5 bis 10 einsam gewesen, heißt es im Präventionsradar der DAK-Gesundheit. Eine repräsentative Online-Befragung im Auftrag der Bertelsmann Stiftung kam Anfang 2024 zu dem Ergebnis, dass zehn Prozent der 16- bis 30-Jährigen stark und weitere 35 Prozent moderat einsam seien.
Einsamkeit betrifft jede Altersgruppe
Dass Einsamkeit Menschen jeden Alters betreffen kann, unterstreicht auch Horst Wenzel. Der Sozialpädagoge arbeitet bei der psychologischen Beratungsstelle im Diakonischen Werk der Region Kassel. Er erzählt von einem Siebenjährigen, der vereinsamt, weil er sich aus Angst zurückzieht, sobald eine neue Person zu einer Gruppe hinzukommt. Und von einer 23-Jährigen, die nach der Trennung der Eltern nur schwer mit anderen Menschen in Kontakt bleiben kann. Und von einem 70-jährigen Paar, das während der Pandemie seine Kontakte zu Freunden verloren hat. „Einsamkeit verbirgt sich ganz oft hinter anderen Themen, mit denen Menschen zur Beratung kommen“, berichtet Wenzel. Vielen falle es schwer, über ihre Einsamkeit zu sprechen, weil sie sich dafür schämen.
Die Bundesregierung hat im Dezember 2023 eine Strategie gegen Einsamkeit beschlossen. Das Kabinett betont darin die Gefahr psychischer und physischer Erkrankungen, die von andauernder Einsamkeit ausgehe. Die Regierung wolle dafür sensibilisieren und Projekte fördern, die Einsamkeit vorbeugen und lindern.
„Girls Talking & Walking“ und Besuchspatenschaften
Einsamkeit entgegenzuwirken – dieses Ziel verfolgt auch der Verein „Freunde alter Menschen“. Er vermittelt in fünf deutschen Großstädten Besuchspatenschaften zwischen Freiwilligen und „alten Freunden“, seit 2020 auch in Frankfurt am Main. Auf den ersten Blick scheinen die Patenschaften auf die Einsamkeit der älteren Partner abzuzielen. Koordinatorin Leiss betont jedoch, dass die „wunderbaren Freundschaften“ auch den 20- bis 70-jährigen Paten viel bedeuteten.
Sozialpädagoge Wenzel hält die Frauenspaziergänge von „Girls Talking & Walking“ und die Besuchspatenschaften von „Freunde alter Menschen“ für sinnvoll. Sie könnten Einsamkeit vorbeugen und auch helfen, wenn schon Probleme bestehen: „Alles, was Beziehung fördert, ist wunderbar.“