Jochen Klepper – eine ungeheuerliche Geschichte

Der Regisseur Benjamin Martins setzte dem Schicksal von Jochen, Johanna und Renate Klepper ein filmisches Denkmal. Die Kleppers wählten 1942 die Flucht in den Tod.

Gerad Fass

Herr Martins, können Sie sich erinnern, wann Sie erstmals mit dem Namen Jochen Klepper in Berührung kamen?
Das war 2009, in einem freikirchlichen Gottesdienst. Der Pfarrer erwähnte das Gespräch mit Adolf Eichmann …

… das auch in Ihrem Film vorkommt.
Es fand am Tag des Selbstmordes im Sicherheitshauptamt statt.

„Die Nacht ist vorgedrungen“ Kleppers bekanntestes Lied

Dass Klepper am Tag seines Todes „Die Nacht ist vorgedrungen“ sang – ist das belegt?

Nein. Ich habe in freier Form viele Textstellen von ihm verwendet. Seine Lieder kannte ich lange, bevor ich seinen Namen wusste. Ich habe mir dann die Tagebücher angeschaut und Biografien gelesen. Je mehr ich mich damit befasst habe, desto ungeheuerlicher fand ich es – auch, dass ich vorher nichts davon wusste. Die jüdischen Familienselbstmorde haben tausendfach stattgefunden. Kleppers Familie ist stellvertretend für so viele. Ich fand, das ist eine Geschichte, die gehört und erzählt werden muss. Außerdem war da die essenzielle Frage, ob es ein Leben nach dem Tod gibt, die auch mich beschäftigt. Ich habe mit dem Film versucht, eine Antwort zu finden.

Ist es Ihnen gelungen?
Nein. Die Frage bleibt offen.

Schatten – ein dramaturgisches Element des Films

Ein wichtiges Element im Film ist der Schatten. Warum?
Wenn man die Tagebücher liest, erfährt man, dass Klepper wahnsinnig viele Zweifel hatte, immer wieder, das hat ihn permanent beschäftigt. Zweifel und Sorgen sind ja meistens dunkel und hässlich, deshalb wollte ich das nicht beschönigen.

Der Film erzählt eindringlich, dass der Tod am Ende das Einzige war, was die Familie noch selbst bestimmen konnte. Gegenüber Hans Karbe begründen die drei ihre Entscheidung. Hat die Figur ein historisches Vorbild?
Ja, ihn gab es wirklich. Hans Karbe war Kleppers Nachbar, aber das Gespräch habe ich erfunden. Ich brauchte es, damit Karbe, stellvertretend für die Zuschauer, akzeptiert, wie und warum die Familie Klepper in den Tod geht. Karbe kämpft den Verstehens-Kampf für die Zuschauer.

Man sieht, wie sich die Wände der Wohnung zusammenschieben, wie immer mehr Möbel verschwinden, so dass die Beklemmung spürbar wird. Aber die wirklichen Kleppers lebten doch in einem Haus?
Stimmt. Im Film ist die Wohnung ein Gleichnis für die damalige Zeit. Das war notwendig. Ich wollte nicht nur äußerlich erzählen, ich wollte auch die Innenwelt zeigen. Die riesige Lücke unter der Tür zeigt, dass sie die Außenwelt nicht raushalten konnten.

Wer fand die Toten?

War es Karbe, der die drei Toten fand?
Es war die Haushälterin. Sie lagen genauso wie im Film, links die Tochter, in der Mitte die Mutter, rechts der Vater, so wie sie in Berlin beerdigt sind.
Der Film zeigt intensiv den Weg in den Tod. Am Ende liegen die drei minutenlang im Todeskampf. Warum haben Sie sich auf diesen Aspekt beschränkt und nicht mehr von ihrem Leben in Berlin erzählt?
Das wäre ein anderer Film. Ich hätte gefälliger inszenieren können, aber ich glaube, dass ich damit die Familie Klepper verraten hätte, und die vielen anderen Familien mit dem gleichen Schicksal. Mir war es wichtiger, den Familien gerecht zu werden, als es dem Publikum leichter verdaulich zu machen.

Wie Lieder in der Propaganda funktionieren

Am Ende erklingt „Sieg Heil!“ aus einem Lied der Hitlerjugend (HJ). Warum?
Mir war wichtig zu zeigen, was Worte machen können. Das ist ein furchtbares Lied, Melodie und Text sind sehr eingängig. Ich habe es sogar gesummt, ohne es zu bemerken, wenn ich mit dem Hund spazieren ging! Das war krass zu sehen, wie gut diese Lieder funktionieren mit fröhlicher Melodie.
Und dem tückischen Gefühl von Gemeinschaft?
Das HJ-Lied suggeriert: Wir gehen fröhlich mit, Schritt für Schritt.
Ohne darüber nachzudenken?

Aktuelle Parallellen

Ein guter Freund hat mich für den Film beraten. Er erzählte von seiner Zeit in der HJ. In seinem Ausweis stand: „Dein Körper gehört deiner Nation.“ Das sieht man auch heute im Krieg der Ukraine. Menschen werden dorthin geschickt, es ist vollkommen egal, ob sie sterben, ob sie verletzt werden, weil ihr Körper der Nation gehört, das ist unfassbar!
Sie haben Regie geführt, Drehbuch geschrieben und waren gleichzeitig Produzent – war es schwierig, das Geld aufzutreiben?
Es war schwieriger, als ich erwartet hatte. Es gab ganz klar Gegenwind. Viele große Unternehmen haben abgesagt. Sie wollten keine Kunden verlieren. Manche fanden, dass solche Filme verboten sein sollten. Ich war schockiert.
Im Abspann Ihres Films nennen Sie bei den Danksagungen unter anderem auch „Gott“. Haben Sie selbst einen christlichen Hintergrund?
Gott danke ich in allen meinen Abspännen. Ich bin Christ, ich hoffe, dass Gott da ist, und dass er auch bei meinen Filmen da ist, und dann gehört ihm auch mein Dank.

Info
Der Film „Schattenstunde“ www.herbsthundfilme.de kam im Januar 2021 in die Kinos. Seit kurzem gibt es eine DVD (16,99 Euro) und Video on Demand. Der Regisseur Benjamin Martins kommt auch gerne bei Schulaufführungen zum Gespräch.