„Jetzt gehören sie zum Stadtbild“

Wolgast. Gut ein Jahr ist es her, dass die vorpommersche Kleinstadt Wolgast bundesweit Negativ-Schlagzeilen machte: Auf das Asylbewerberheim wurde ein Knallkörper geworfen und der Giebel des Heimes mit einer NPD-Parole besprüht. Zudem wurde in unmittelbarer Nachbarschaft bei geöffnetem Fenster immer wieder laut verfassungsfeindliche Musik gespielt. Die ARD dokumentierte Fremdenfeindlichkeit, Wut und Gewaltpotenzial einiger Einwohner gegen die Asylbewerber und sorgte damit für bundesweite Aufmerksamkeit.

Die Geschichte habe damals viel Staub aufgewirbelt, erinnert sich Pastor Jürgen Hanke. "Die Wolgaster fühlten sich auf den Schlips getreten." Um zu demonstrieren, dass die Stadt vor den Toren der Urlauberinsel Usedom auch ein anderes Gesicht hat, organisierte die Kirchengemeinde damals zum Erntedankgottesdienst ein "Willkommensfest". Lebensmittel und Kinderkleidung wurden verteilt.

Hilfswelle nach "Willkommensfest" in der Kirche

"Da ist eine Riesenhilfswelle angerollt, wir haben Dolmetscher gesucht, Deutsch- und Computerkurse organisiert", erzählt Hanke. An Heiligabend wurden 60 Pakete an die Flüchtlinge übergeben. Im Frühjahr habe die Kirchengemeinde dann beschlossen, "jetzt lassen wir sie mal wieder in Ruhe".
Manche der damals rund 50 Asylbewerber seien auch weiter in den Gottesdienst gekommen. Einige wenige davon nicht ohne Hintergedanken, wie der Pastor erfahren musste: "Ihnen wurde geraten, sich taufen zu lassen." Als getaufte Christen könnten sie je nach Herkunftsland angeben, in ihrer Heimat verfolgt zu werden. "Da habe ich dann gesagt: Ja, sicher taufe ich Dich – nach einem halben Jahr Taufunterricht und einer zusätzlichen Bedenkzeit von einem Vierteljahr." Hanke brauchte nicht zu taufen.

Wolgast bemüht sich um Normalität mit seinen Asylbewerbern

Fragt man ein Jahr später nach den mittlerweile rund 250 Flüchtlingen, so bemühen sich alle um Normalität. "Sie gehören jetzt zum Wolgaster Stadtbild", sagt der Leiter des Asylbewerberheims, Jörg Wojciechowski, und zählt auf, was sein Team für die Flüchtlinge aus Tschetschenien, Afghanistan, dem Iran und Ghana seitdem auf die Beine gestellt hat: Von Kinderbetreuung über Hausaufgabenhilfe und Fitnessraum bis zum Kreativangebot mit Nähstube und Malzirkel.
Wojciechowski und seine beiden Mitarbeiterinnen, die selbst vor vielen Jahren aus dem Libanon und aus Russland nach Deutschland kamen, sind redlich um Hilfe bemüht. Dabei beginnen die Probleme eigentlich erst, wenn die Asylbewerber eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten haben und auf sich allein gestellt sind. "Da bricht von Staats wegen die Betreuung weg." Insgesamt sei es ein einvernehmliches Miteinander der rund zehn verschiedenen Nationalitäten.

In Vereinen engagiert und Müll trennen gelernt

Auch Bürgermeister Stefan Weigler sieht eine positive Entwicklung. Zwar seien die Asylbewerber "mit Anlaufschwierigkeiten" gestartet. Weigler: "Sie mussten auch erst lernen, wie man bei uns den Müll trennt." Doch seitdem habe sich viel verändert, und viele Neuankömmlinge seien in Vereinen engagiert. Erst am vergangenen Wochenende habe man in Wolgast ein "Demokratiefest" gefeiert. Doch Weigler gibt zu, dass die Vermietungssituation in dem Wohnviertel nicht einfacher geworden ist. "Trotz Block-Sanierung und eingebautem Fahrstuhl."
Die Kirchengemeinde plant indes weitere Veranstaltungen mit den Asylbewerbern. "Wir wollen Nähe schaffen durch ein gemeinsames Essen, bei dem jeder etwas aus seinem Heimatland beisteuert", so Hankes Plan. Sie sollen spüren, dass es ein ehrliches Interesse an ihrer Kultur gibt. Und für die Wolgaster sei es wichtig, dass sie lernen: "Wir alle sind Ausländer in der Begegnung mit dem anderen."