Jerusalemer Studienjahr im römischen Exil

Es gibt unschönere Exilorte als Rom. Seit der jüngsten Eskalation in Nahost hat das “Theologische Studienjahr Jerusalem” sein Ausweichquartier in der Ewigen Stadt aufgeschlagen und versucht das Beste daraus zu machen.

Als sich der Konflikt in Gaza und Libanon zuspitzte und der Iran am 1. Oktober Raketensalven auf Israel feuerte, verschärfte das Auswärtige Amt seine Reisewarnung. Mit der Folge: Das vom Deutschen Akademischen Austauschdienst DAAD unterstützte “Theologische Studienjahr Jerusalem” musste sofort seine Koffer packen und die Jerusalemer Benediktiner-Abtei Dormitio verlassen. Einwände und Widerspruch – die Betroffenen votierten einstimmig für Verbleib – blieben ohne Erfolg.

Seither setzen die 16 Studierenden ihr achtmonatiges Aufbaustudium in den Räumen der Benediktiner-Hochschule Sant’Anselmo fort. “Rom ist kein vollwertiger Ersatz, aber der bestmögliche Ersatz, ein bewährter Plan B”, sagt Studiendekanin Johanna Erzberger. Bereits in der Corona-Krise vor vier Jahren konnte sich das Jerusalemer Studienjahr hier andocken, sein Lehrprogramm durchziehen und Kontakte in Roms Akademie-Betrieb sammeln und nutzen.

Ohnehin ist das Päpstliche Athenäum Sant’Anselmo akademischer Träger des Dormitio-Programms. Und es versuche mit “unaufdringlicher benediktinischer Gastfreundschaft ein wenig von dieser ersten Enttäuschung der Studierenden aufzufangen, die ja mit einem ganz anderen Ziel vor Augen aufgebrochen waren”, sagt der Abtprimas der Benediktiner, Jeremias Schröder, der ebenfalls in Sant’Anselmo seinen Sitz hat.

Was biblische Archäologie angeht, könne Rom sich natürlich nicht mit dem Heiligen Land vergleichen, so Schröder. Aber viele andere Erfahrungen, die zum Kanon des Studienjahres gehören, ließen sich auch in Rom sehr gut vermitteln: “Es gibt hier viele Überreste und Spuren des spätantiken Christentums. Die meisten Gemeinschaften des christlichen Ostens haben Stützpunkte auch in Rom.” Und Weltkirche werde hier in einer Universalität erfahrbar wie wohl nirgendwo sonst.

Freilich musste der Lehrplan modifiziert werden. Zum Glück hätten bereits in den ersten Wochen in Jerusalem viele Themen mit direktem Lokalbezug wie biblische Archäologie oder Treffen mit dem Judentum auf dem Programm gestanden, so Erzberger. Weitere Ortstermine oder die Begegnungen mit dem Islam wolle man auf das zweite Semester verschieben. Dabei hätten sich die Dozenten aus dem deutschen Sprachraum flexibel gezeigt und seien auch zur kurzfristigen Umbuchung nach Rom bereit gewesen.

Etwa Markus Lau, Professor für neutestamentliche Wissenschaften im Schweizer Chur, der seine Vorlesung “Krieg und Frieden” samt geplanter Exkursion durch Galiläa an den Tiber verlegen musste. Er versucht die neue Lage als Chance zu nutzen. Man könne hier sehen und zeigen, wie die antiken Römer, vor allem die flavischen Kaiser, durch Bauwerke und Bilder ihren Sieg über die Juden im Jahr 70 inszenierten. “Ich wäre lieber mit den Studis in Galiläa unterwegs”, gibt Lau zu. Aber auch das Kolosseum oder der Titusbogen am Forum Romanum mit der Darstellung des geraubten Jerusalemer Tempelschatzes böten reiches Anschauungsmaterial.

Die Studierenden, je acht Katholiken und Protestanten, waren zunächst enttäuscht und traurig, dass ihr Jerusalem-Aufenthalt nach sechs Wochen unterbrochen wurde. Sie hätten sich “gerade in Jerusalem eingelebt, ein Stück Zuhausegefühl entwickelt, auf das wir uns lange vorbereitet hatten”, sagt Dorothee Rövekamp vom Sprecher-Duo der Studierenden. Aber der Aventin sei eine “tolle Alternative”, für die sie den Benediktinern zutiefst dankbar seien.

Für ihren österreichischen Kollegen Benedikt Bischof lassen sich viele Studienschwerpunkt nur bedingt in Rom umsetzen. Aber dafür habe es neue Akzente gegeben: Sie hätten manches über Kirchenpolitik gelernt und etliche Vorträge über die gerade tagende Weltbischofssynode gehört.

An die Stelle des interreligiösen Dialogs mit Juden und Muslimen sei in Rom stärker der interkonfessionelle Dialog getreten, sagt die Protestantin Rövekamp. Die Studenten unterhielten Kontakte zur evangelischen Christus-Kirche, zur Melanchton-Akademie, aber auch zu den katholischen deutschsprachigen Gemeinden der “Anima” oder des “Campo Santo Teutonico”.

Die Begegnung mit dem Jerusalemer Studienjahr ist auch für die Anselmianer Benediktinergemeinschaft reizvoll, wie Abtprimas Schröder betont. Die Präsenz dieser “aufgeweckten und theologisch aufgeschlossenen jungen Frauen und Männer aus verschiedenen Konfessionen (…) mischt auch uns ein bißchen auf und bereichert unseren Alltag”. In der Tat kamen bei den Gottesdiensten in der ehrwürdigen Abteikirche erstmals Ministrantinnen zum Einsatz.

Zwar haben die Studenten aus Jerusalem zunehmend auch die Schönheit Roms schätzen gelernt und sich arrangiert, wie etwa Haakon Sassenberg aus Bonn betont. “Trotzdem”, so eine Kommilitonin, “schlägt das Herz in Jerusalem, und wir hoffen, dass wir da wieder hinkommen.”