„Jeder Mensch braucht ein Zuhause“

Die Caritas Vorpommern hat einen Gottesdienst zum Thema bezahlbarer Wohnraum gefeiert. Denn die Wohnungsnot betreffe alle, und auch Kirchengemeinden könnten helfen.

Mechthild Patzelt, Beraterin bei der Caritas in Vorpommern
Mechthild Patzelt, Beraterin bei der Caritas in VorpommernSybille Marx

Frau Patzelt, warum ein Gottesdienst gerade zum Thema bezahlbarer Wohnraum?
Mechthild Patzelt: Der Konkurrenzkampf um preiswerte Mietwohnungen ist ein großes sozialpolitisches Problem geworden. Zwischen 2004 und 2014 sind die Mieten in Deutschland um bis zu 60 Prozent gestiegen, die Einkommen im Schnitt nur um acht Prozent. Viele Menschen haben Mühe, etwas gut Bezahlbares zu finden, müssen weit mehr als ein Drittel ihres Einkommens fürs Wohnen ausgeben, das ist bedenklich. Und die Zahl der Sozialwohnungen ist von 4 Millionen im Jahr 1990 auf heute gut 1 Million gesunken. Die Fördermittel, die der Bund für den Bau neuer Sozialbauten stellt, reichen längst nicht, auch die Mietpreisbremse hat kaum Abhilfe geschaffen, ist aber ein erstes wichtiges Instrument. Wir haben als Arbeitskreis Bezahlbarer Wohnraum in Greifswald lange dafür gekämpft, dass die Mietpreisbremse hier ab Oktober in Kraft tritt. Damit sind Maßnahmen verbunden, die den Wohnungsmarkt entspannen sollen.
Wie oft haben Sie in der Allgemeinen Sozialen Beratung mit Menschen zu tun, die keine bezahlbare Wohnung finden?
Immer öfter, jeden kann es inzwischen betreffen. In meine Beratung kommen vor allem Hartz IV-Bezieher, bei denen die Miete durch die Kosten der Unterkunft nicht ganz gedeckt ist, die Mietschulden haben, aber keine preiswertere Wohnung finden. Da verhandle ich dann mit den Behörden, zum Teil mit Erfolg, zum Teil aber auch nicht. Immer wieder erleben wir auch, dass sich jemand von seinem Partner trennt und schnell ausziehen möchte, was aber kaum möglich ist. Auch junge Leute, die zum Studieren wegziehen, sind betroffen. Sie müssen zum Teil zig WG-Castings absolvieren. Oder Menschen wollen einen älteren Angehörigen zu sich in die Stadt holen, aber finden keine geeignete Wohnung.
Worunter leiden Betroffene am meisten?
Eine Wohnung zu haben, ist ein menschliches Grundbedürfnis. Wenn jemandem eine Wohnungsräumung droht, fühlt er sich in seiner Existenz bedroht und kann auch seine anderen Probleme gar nicht anpacken. Ein Zuhause zu haben, in dem man sich wohl und sicher fühlt und Privatsphäre hat, ist die Voraussetzung für vieles andere.
Wie können Kirchengemeinden helfen?
Ihre Mitglieder könnten sich sozialpolitisch für bezahlbaren Wohnraum engagieren. Kirchengemeinderäte könnten schauen, ob sie durch Sanierungen von Gemeinde-Immobilien bezahlbaren Wohnraum schaffen können. Oder sogar in den Wohnungsbau investieren, indem sie sich mit anderen zu einer Wohnungsgenossenschaft zusammenschließen. Sie können außerdem auf ihre professionellen Partner hinweisen, die Caritas und die Diakonie mit ihren Beratungsstellen. Zwar können wir nicht direkt Wohnungen vermitteln, aber Suchende beraten. Und manchmal läuft es auch so, dass wir den Kontakt zu Kirchengemeinden herstellen und sagen: Vielleicht hat dort jemand etwas frei. Das habe ich schon mit Erfolg gemacht, und das Schöne war: Danach hat sich die Betroffene auch bei einem anderen Problem getraut, mal andere um Hilfe zu bitten.
Was kann der Einzelne tun? Erwarten Sie, dass ein guter Christ jemanden zur Untermiete aufnimmt, wenn er noch ein Zimmer frei hat?
Verordnen sollte man das nicht. Ich fände es aber schön, wenn Leute zumindest mal darüber nachdenken würden: Möchte ich ein Zimmer untervermieten, geht das in meinem Haus? Und ich hoffe, dass im Gottesdienst all diejenigen, die ein schönes Zuhause haben, merken: Das ist nichts Selbstverständliches, dafür kann man dankbar sein.
Info
Beratungsstellen in Greifswald
Allgemeine Soziale Beratung/Schuldner- und Insolvenzberatung der Caritas, Bahnhofstrasse 16, Tel.: 03834/79830
Tagesstätte/Beratungsstelle des Kreisdiakonischen Werkes, Lomonossowallee 50, Tel.: 03834/899797