Je suis Charlie

Die furchtbaren Anschläge auf das französische Satiremagazin Charlie Hebdo und auf einen koscheren Supermarkt in Paris gingen mir durch Mark und Bein. Was für eine Welle der Gewalt erlebten wir! Doch ihr folgte eine weit größere Welle der Sympathie und Anteilnahme für die Opfer. Millionen versammelten sich zu einem beeindruckenden Marsch durch die Hauptstadt und andere Städte Frankreichs (…) Von Veit Hoffmann

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Von Veit Hoffmann

Die furchtbaren Anschläge auf das französische Satiremagazin Charlie Hebdo und auf einen koscheren Supermarkt in Paris gingen mir durch Mark und Bein. Was für eine Welle der Gewalt erlebten wir! Doch ihr folgte eine weit größere Welle der Sympathie und Anteilnahme für die Opfer. Millionen versammelten sich zu einem beeindruckenden Marsch durch die Hauptstadt und andere Städte Frankreichs. Auch in Deutschland gingen Hunderttausende für Toleranz und ein friedliches Zusammenleben auf die Straßen. Nirgendwo Hass. Tausende Plakate. Je suis Charlie, Je suis Flic, Je suis Juif. Überall wurde um Toleranz geworben und betont, dass Islamismus nichts mit dem Islam zu tun habe. Doch stimmt das?

Alte religiöse Texte leben seit jeher von der Interpretation. Jene der Bibel ebenso wie die des Koran. Sie werden nur lebendig und stärkend, wenn sie in die moderne Zeit übertragen werden. Sie müssen sich in die jeweiligen Kulturen und Gebräuche der Gläubigen einpassen, um so die Menschen durch ihr Leben zu begleiten. Stellen Sie sich einmal vor, ihr Pfarrer stiege auf die Kanzel und spräche in der Sprache des Apostel Paulus. Das wäre sehr irritierend und wenig verständlich. Nein, die Texte müssen in unsere Zeit übersetzt werden! Paulus hat in seiner Zeit gepredigt, wir predigen in unserer Zeit.Aber in der Deutung der Texte liegt die große Gefahr des Missbrauches. Nicht nur im Islam. In den mehr als anderthalb Jahrtausenden nach Jesu Kreuzigung schlachteten sich Christen gegenseitig zu Millionen ab, weil sie die Lehre der Nächstenliebe in Detailfragen unterschiedlich interpretierten. Die Religionskriege im 16. und 17. Jahrhundert zwischen katholischen Christen und Protestanten legten Europa in Schutt und Asche. Die Kontrahenten sprachen zwar die gleichen Gebete und glaubten an die gleiche Botschaft der Liebe, doch sie waren sich nicht einig, wie die Nächstenliebe aussehen und gelebt werden sollte. Die Katholiken meinten, die Gläubigen müssten für diese Liebe etwas tun. Die Protestanten empfanden diese Interpretation als unannehmbaren Tauschhandel mit Gott. So zogen sie gegeneinander zu Felde. Jede Partei hatte die dazu passenden Bibeltexte parat.

Im Islam ist das nicht anders. Abu Bakr al-Baghdadi, der Chef der Terrororganisation IS, hat ein Kalifat ausgerufen und sich selbst zum Kalifen ernannt. Ein Kalif ist der direkte Nachfolger Mohammeds. Er sagt von sich, Bewahrer des göttlichen Willens zu sein. Doch welcher Mensch kann schon wissen, was Gott will? Seine Lehre ist ein Konstrukt. Verse aus dem Koran, aus dem Zusammenhang gerissene Aussagen. Sie ist zudem einfach zu verstehen, schlicht, schwarz-weiß. Ähnlich dem Ku-Klux-Clan, der seine Lehre auch aus Texten der christlichen Bibel zusammengebastelt hat. Solche religiösen Strömungen – es gibt davon ungezählt viele – verbinden ihre Botschaften mit starken Symbolen, die Andersgläubigen drohen sollen. Der Ku-Klux-Clan ist undenkbar ohne brennende Kreuze und weiße Kapuzen. IS zeigt schwarz vermummte Kämpfer mit Messern. Vor ihnen kniet das geschorene Opfer. Ist das wirklich im Sinne Allahs und Mohammeds oder eher blinder Glaube und Gehorsam?

Für mich gilt: Wer nicht kritisch fragt und zweifelt, der glaubt blind. Fragen, Skepsis und Zweifel gehören unbedingt zu einem gesunden Glauben dazu.

Die Mutter einer amerikanischen IS-Geisel bat via Internet um Gnade für ihren Sohn. Mohammed hätte Mitleid gehabt, schrieb sie. Der wirkliche Bewahrer der Wahrheit, der direkte Nachfolger Mohammeds, hätte Gnade gewährt.