Pat Metheny: Jazz-Genie und Gitarren-Nerd wird 70
Seit Jahrzehnten ist er einer der kreativsten und vielseitigsten Gitarristen der Welt. Am liebsten macht Pat Metheny geniale Musik. Aber wehe, man versucht sie zu überhöhen oder zu vereinnahmen.
Missouri ist wohl ein sehr guter Ort, um religiös zu sein: provinziell, ganz nah an der Natur und scheinbar grenzenlos. Patrick Bruce Metheny wurde dort vor 70 Jahren geboren, in der Kleinstadt Lee’s Summit, am 12. August 1954. Er hat sich vernarrt, ja – aber religiös ist er nicht geworden. Sein Genie gehört ganz der Musik, der Gitarre; es changiert zwischen Jazz, Rock, Pop und Klassik und wird beharrlich “Fusion” genannt. Doch Pat Methenys Songs gehören in keine Schublade. Und wer immer sie in eine stecken will, trifft auf höflichen, aber entschiedenen Widerspruch.
Journalisten versuchen ihn zu locken, indem sie wissend seine Songs analysieren oder ihm erklären, warum er wahrscheinlich in Werk X das Setting Y gewählt hat. Das lässt Metheny locker abtropfen; er habe sich nie um Interpretationen oder Bewertungen seiner Werke geschert. Auf die Frage, wie er glaube, dass seine Musik wohl in 50 Jahren interpretiert werde, antwortet er kürzer als auf jede andere Interviewfrage: Das sei “völlig schnuppe”. Kann man sich leisten, wenn die eigenen Werke schon jetzt von der Smithsonian Institution in Washington kuratiert werden.
Durch seine Musik entsteht Kopfkino
Natürlich, die Assoziationen zu seinen zahllosen Songs und Alben kommen fast automatisch: “Last Train Home” ist ohne jeden Zweifel eine musikalische Zugfahrt durch die Weiten der USA. Die “Watercolors” sind Natur pur, Missouri musikalisch eben. Kopfkino entsteht, Filme laufen vor dem Hörer ab. Doch am Meister selbst prallen solche Erlebnisberichte ab. Ihm sei es immer nur um die Musik gegangen, um die Harmonie.
Das Musizieren wurde Pat Metheny quasi in die Wiege gelegt. Seine Mutter war Sängerin, sein Großvater, sein Vater und sein älterer Bruder Mike durchaus erfolgreiche Trompeter. Auch er selbst lernte mit acht Jahren Trompete, bis er mit zwölf auf die Gitarre einschwenkte. Es war wohl eine Art Erweckungsmoment; seither wandert er unaufhörlich zwischen den Klangwelten.
Metheny selbst spricht von dieser Zeit als seiner “fanatischen Phase” – ein genialer Autodidakt und Nerd an der Gitarre, der schon mit 18 Jahren selbst an der Universität Miami und in Boston lehrte; der mit seinem eigenen Sound nicht nur unzählige junge Menschen “flashte” und für den Jazz gewann, sondern den Stil selbst revolutionierte. Jazz war immer geprägt von Saxophon und Trompete, vom Bass oder vom Klavier – aber bestimmt nicht von der Gitarre. Seine Ringel-T-Shirts und die Haarmähne von damals trägt er bis heute – wie bleibende Statements seines damaligen Freiheitsstrebens.
Metheny folgte nie dem Erfolg
Um seine ganze Breite und neue Klangfarbe ausleben zu können, ließ sich Metheny in Kanada eigens ein 42-Saiten-Instrument maßanfertigen. Später, als Familienvater, musste er Anfang der 2000er Jahre dann damit leben, dass seine halbwüchsigen Söhne wie er eigene Wege einschlugen – und möglichst keine Musik mehr hören wollten, die so gestrig nach Gitarre klang. Für den 20-fachen Grammy-Gewinner kein Problem – denn Metheny ist nie dem Applaus gefolgt, den er eh nicht beeinflussen könne, sondern stets seinem eigenen Instinkt und musikalischen Fortschritt.
Dennoch spürt der ewige Perfektionist immer die absolute Verantwortung, seinem Publikum im Konzert in jeder Minute das Beste abzuliefern; ein “Reiseführer” zu sein, egal ob als Solist oder in seinen unendlich sich wandelnden Besetzungen. Metheny hat mit so vielen der Besten gespielt: Lyle Mays, Jaco Pastorius, Charlie Hayden, Herbie Hancock, Dave Brubeck, Mike Brecker, David Bowie, Chick Corea, Nana Vasconcelos, John Scofield, Jack DeJohnette, Antonio Sanchez – und er spricht von ihnen allen stets wie von Brüdern, Geschwistern.
Auch Christen würden Metheny gerne für sich haben. Namentlich US-Evangelikale leiden darunter, dass er nicht nur erklärter Agnostiker ist, sondern sogar streng ablehnend über verfasste Religion, über ihre Urteile und engen Normen spricht. Kein gläubiger Mensch, erst recht in den USA, mag glauben, dass die Schöpfung von Klängen, die so positive Emotionen hervorrufen, ohne eine große Spiritualität zu erreichen wäre.
Methenys Gehirn bringt “24 Stunden pro Tag Musik hervor”
Am Ende ist fehlende Spiritualität vielleicht gar nicht der Punkt. Denn nicht einmal Pat Metheny selbst vermag widerspruchsfrei zu erklären, was er mit “der Musik selbst” als seinem einzigen Bezugspunkt meint. Einerseits sagt er beschwörend: “Musik ist keine Religion!” Andererseits: Sein Gehirn bringe quasi “24 Stunden pro Tag Musik hervor”. Musik führe dich “ganz nah an die existenziellen Geheimnisse heran”. Und gute Musik zu schaffen, das sei der Altar, auf dem er opfere.
Eine Episode, die Pat Metheny vielfach erzählt hat, führt zurück in seine Jugend in der Heimat Missouri. In einem winzigen Vorort seiner Geburtsstadt Lee’s Summit, in Unity Village, wurde einst die Freikirche “Unity Church” gegründet. Er selbst nennt sie “einen sehr merkwürdigen Zweig des Christentums”, der alle Religionen einschließe. Doch die Gründerfamilie Fillmore sei seit 100 Jahren eng mit den Methenys befreundet. Pat selbst, sein Bruder und sein Vater spielten regelmäßig und selbstverständlich beim jährlichen “Einheitsfest” der Gemeinde. Als Reminiszenz brachte er 2012 ein Album in Quartettbesetzung heraus. Er nannte es: “Unity Band”.