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Javier Milei wird gebremst

Javier Milei macht Ernst: Mit einem Wahlergebnis von 56 Prozent im Rücken hat der ultraliberale Präsident Argentiniens im ersten Monat nach seinem Amtsantritt ein atemberaubendes Tempo vorgelegt. Zunächst ließ er ein Zehn-Punkte-Sparprogramm samt Peso-Abwertung verkünden. Vor Weihnachten noch präsentierte er ein „Notstandsdekret“ mit 336 Punkten. Wenig später folgte ein Gesetzespaket mit 664 Artikeln. Mit diesen Gesetzesänderungen wollte er Argentinien schlagartig liberalisieren.

Der Zeitpunkt war gut kalkuliert. Noch sind die Menschen dabei, zu begreifen, was mit dieser Staatsreform alles auf sie zukommen könnte. Im Januar und Februar ist in Argentinien Ferienzeit. Das Dekret ist seit Ende Dezember in Kraft, nachdem sich die obersten Richter geweigert hatten, vor der Sommerpause über seine Verfassungsmäßigkeit zu befinden.

Die Abwertung der Währung um 54 Prozent hat die Inflation hochschnellen lassen, und das ist nur der Anfang. Besonders hart trifft der Preisanstieg um knapp 30 Prozent im Monat die Armen, immerhin gut zwei Fünftel der 46 Millionen Argentinierinnen und Argentinier. Die Regierung möchte einen radikalen Staats- und Subventionsabbau, Deregulierung und die Kriminalisierung von Demonstranten umsetzen.

Angekündigt sind zudem der Verkauf von Dutzenden Staatsbetrieben, die Ausdünnung des Erziehungs-, Wissenschafts- und Kulturbetriebs, die Streichung von Arbeiterrechten und Pensionsansprüchen. Der schon jetzt prekäre Schutz von Wäldern und Gletschern soll völlig abgeschafft werden. Außerdem will sich der 53-jährige Milei zwei Jahre lang Sondervollmachten einräumen, Kritiker sprechen von einem Ermächtigungsgesetz.

Gegen diese Kahlschlagpolitik regt sich Widerstand. Täglich gibt es Proteste, meist überschaubar, aber manchmal auch größer – wie in den Stunden nach der Verkündung des Notstandsdekrets, als Tausende Menschen im ganzen Land auf Töpfe und Pfannen schlugen. Oder in der Woche nach Weihnachten, als über 10.000 Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen zum Obersten Gerichtshof in Buenos Aires marschierten.

„Für die Regierung sind die Geschäfte der Mächtigsten wichtiger als die Rechte, die wir in jahrelangen Kämpfen errungen haben“, erklärten die katholischen „Priester der Option für die Armen“ im Nordwesten des Landes. Auch Menschenrechtsorganisationen sehen die Demokratie in Gefahr. Für den 24. Januar haben die einflussreichen peronistischen Gewerkschaften einen Generalstreik angekündigt.

Im Zwei-Kammer-Parlament haben unterdessen Sondersitzungen begonnen. Hier wird sich zeigen, inwieweit Milei, dessen eigene Fraktionen klein sind, auf dauerhaften Rückhalt zählen kann. Seine wichtigsten Verbündeten sind Ex-Präsident Mautico Macri und dessen rechte Pro-Partei. Entscheidend werden die Kräfte der rechten Mitte sein, die sich mit ihrer Kritik an Milei zurückhalten und mit den nun oppositionellen Peronisten wenig zu tun haben wollen. Doch bisher wurden gerade einmal die Ausschüsse gebildet.

Gewichtiger ist die Rolle der Gouverneure, die die Regierung bereits bei zwei Themen zum Zurückrudern zwangen: So werden die Zuckerindustrie im Nordwesten und die Fischfangflotten der Atlantikprovinzen nicht über Nacht der Konkurrenz aus anderen Ländern ausgesetzt – dafür sind sie als Wirtschaftsfaktoren einfach zu bedeutsam.

Außerdem stimmen viele Parlamentarier gemäß der Kräfteverhältnisse in ihren Provinzen ab, das macht die Lage noch einmal komplizierter. Das Nationale Arbeitsgericht erklärte unterdessen bereits die Aushöhlung der Arbeiterrechte für verfassungswidrig. „An der Basis formiert sich der Widerstand langsam, aber sicher“, sagt Sergio Ciancaglini von der Journalistenkooperative Lavaca. „Wenn das Geld nicht mehr bis zum Monatsende reicht, dann wird es sehr kritisch.“ Massenproteste sind dann nicht mehr ausgeschlossen.