Israels Nationalbibliothek vereint Sammlung von Hermann Cohen

Die Bücher aus der Bibliothek des Philosophen Hermann Cohen spiegeln eine dramatische Geschichte wider. Von den Nazis geplündert, in den USA gefunden und von Juden gerettet, sind sie nun in Jerusalem wieder vereint.

Von den Nazis verkauft, zerstreut, geplündert: Die Bibliothek des deutsch-jüdischen Philosophen Hermann Cohen teilt ihr Schicksal mit vielen Bibliotheken europäischer Juden. Nach Jahrzehnten des Sammelns und Restaurierens sind 3.000 von ursprünglich 5.000 Werken in Cohens Sammlung heute wieder für die Öffentlichkeit zugänglich. Am Sonntag feierte die israelische Nationalbibliothek in Jerusalem den Abschluss der Katalogisierung der “Hermann-Cohen-Bibliothek”.

Der erste Band der Gedichte Christoph Martin Wielands liegt in der Vitrine. Mit Tinte hat jemand einen Vermerk auf das Vorsatzblatt rechts unten geschrieben. Darüber oben rechts die Zahl 3913 I und ein Stempel der Israelitischen Gemeinde Frankfurt/Main. Dazwischen, mit schwarzem Stift durchgestrichen: der Reichsadler mit verblasstem Hakenkreuz. “Sicherheitsdienst des Reichsführers SS” – der Stempel des Nazi-Geheimdienstes und Überwachungsapparates SD. Ein Ex-Libris des Jüdischen Restaurationsfonds JCR mit einem doppelten Davidstern und der Aufkleber mit dem Barcode der Nationalbibliothek auf der linken Seite vervollständigen das Bild. “Die Aufkleber und Stempel erzählen die Geschichte der Bücher”, sagt Stefan Litt, Kurator der geisteswissenschaftlichen Sammlung.

Hermann Cohen, der einstige Besitzer des Gedichtbands und Mitbegründer der Marburger Schule des Neukantianismus, war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einer der bedeutendsten deutsch-jüdischen Philosophen. Von Marburg gelangte das Buch 1919, ein Jahr nach Cohens Tod, mit allen weiteren Bänden seiner Bibliothek nach Frankfurt in die jüdische Gemeinde. Hier waren sie der Öffentlichkeit zugänglich. Bis 1938 die Nationalsozialisten kamen, die Bibliothek schlossen und für Nazi-Forschungsanstalten plünderten.

Mit Kriegsende fielen die Bücher in die Hände der USA. Millionen Bände lagerte die Siegermacht in großen Hallen in Offenbach, auf der Suche nach einer Lösung für Werke, deren Besitzer größtenteils ermordet worden waren. Hier kommen Gerschom Scholem und Hannah Arendt ins Spiel, die den besitzerlosen Bücherschatz für den JCR begutachteten.

40 Prozent der Bücher gingen schließlich nach Israel und als erste Anlaufstelle in die Nationalbibliothek, berichtet Daniel Lipson der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Das Offenbacher Lager geplünderter Bücher ist eines seiner Forschungsgebiete. Insgesamt 35.000 Einträge habe er in den Katalogen der Nationalbibliothek gefunden, “die Zahl der Bände ist noch höher”.

Auch große Teile der Büchersammlung Cohens kamen auf diesem Weg nach Jerusalem. “Im Sommer 1949 schrieb Scholem, er habe die Bibliothek Cohens gefunden. Er glaubte, die reiche Sammlung vor allem zur allgemeinen Philosophie könne eine Bereicherung für die Hebräische Universität Jerusalem sein”, so Kurator Litt. Statt in das Bibliotheksgebäude auf dem Skopusberg, das kriegsbedingt nicht zugänglich gewesen sei, seien die Bücher im “Terra Santa College” gelandet, dem Franziskanerkloster, das der Universität von 1949 bis zu seiner Rückgabe in den 1990er Jahren als Ersatzcampus diente.

Die nächste Episode im Leben der Sammlung sei “peinlich”, sagt Litt. “Mitte der 1960er Jahre wurde die Bibliothek katalogisiert. Aber man hörte nach 1.000 Bänden auf. Zwei Drittel der Bücher waren damit nicht oder nur teilweise zugänglich.” Dabei sollte es bleiben, bis sich Litt der Causa Cohen vor rund zwei Jahren annahm – mit finanzieller Unterstützung aus Deutschland. “Eine mittlere fünfstellige Summe” sei in die Katalogisierung und Restaurierung geflossen, sagen Florian Seubert und Reinhard Hermes, zwei der vier Privatspender. Beide sind Mitglieder des Freundeskreises “Deutsches Literaturarchiv Marbach” und fasziniert von dem Projekt.

Für manche Bücher kam die Rettungsaktion fast zu spät. “210 Bücher waren von Schimmel befallen, darunter auch Bände aus der Rubrik ‘Seltene Bücher'”, erklärt die Leiterin der internationalen Katalogisierung, Esther Taga. Über Monate scannte ihr Team die relevanten Texte, bemüht, keine Anmerkungen des Philosophen zu übersehen. “Unterstreichungen, Notizen und am Ende eines Buches fast immer seine Zusammenfassung, das war Hermann Cohens Art”, so Litt.

Sie sind besonders wertvoll für Cohen-Forscher wie Roy Amir vom Jerusalemer “Rosenzweig Minerva Research Center”. “Einige Kollegen aus dem Ausland haben schon angekündigt, dass sie bei ihrem nächsten Besuch die Bücher studieren wollen.” Seine Erwartungen an die neuen Quellen: “Wir gewinnen vielleicht keine bahnbrechenden neuen Erkenntnisse, aber Klärungen, wie Cohen bestimmte Dinge verstanden hat.”

In Jerusalem ist vor allem die philosophische Sammlung Cohens gelandet, sagt Litt. Von der Inventarliste der jüdischen Gemeinde Frankfurt wisse man aber, dass die Bibliothek sehr viel diverser gewesen sei. Von 2.000 Bänden aus Cohens Bibliothek fehlte jede Spur – bis jetzt. Vor kurzem sei er von der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem kontaktiert worden, dass auch dort Cohen-Bücher seien, so Litt. “Worum es sich handelt, prüfen wir jetzt.”