Islamexperten: Muslimen nicht pauschal Judenhass unterstellen
Sind Muslime aufgrund ihres Glaubens judenfeindlich? Im Koran gibt es kritische Aussagen über Juden. Aber die müsse man richtig verstehen, erläutern Mouhanad Khorchide und Bülent Ucar.
Im Nahost-Konflikt sprechen nicht nur die Waffen. Seit dem Terrorangriff der Hamas herrscht auch eine verbale Schlacht: Während die eine Seite Israel Solidarität bekundet, bezweifelt die andere dessen Existenzrecht. In Deutschland treten gerade auch unter Muslimen mit arabischem oder türkischem Migrationshintergrund antisemitische Haltungen zu Tage. Altbundespräsident Christian Wulff, der 2010 den Satz „Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland“ sagte, forderte jüngst eine ehrliche Debatte über antisemitische Inhalte im Islam. Zwei Islamwissenschaftler – Bülent Ucar und Mouhanad Khorchide – warnen indes davor, Muslime pauschal Judenfeindlichkeit zu unterstellen.
Khorchide leitet das Zentrum für Islamische Theologie an der Universität Münster, Ucar ist Direktor des Instituts für Islamische Theologie und Religionspädagogik an der Universität Osnabrück. Im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) machen sie deutlich, dass sich im Koran und in der Sunna, in der Aussprüche und Handlungen des Propheten Mohammed überliefert sind, durchaus judenfeindliche Stellen finden. Von 6.236 Versen im Koran sind es laut Khorchide 15. Diese aber müssten aus ihrem Entstehungskontext im 7. Jahrhunderte heraus verstanden werden und seien keinesfalls überzeitliche Aussagen über Juden. „Muslime haben nicht von vornherein eine antijüdische Haltung“, so Khorchide.
Auch im Koran gibt es judenfreundliche Aussagen
Nach den Worten Ucars finden sich im Koran auch judenfreundliche Aussagen. Die feindlichen Verse spiegelten einen Konflikt, der nach der Flucht Mohammeds von Mekka nach Medina mit den dortigen Juden entstanden sei. Dem Propheten sei es zunächst darum gegangen, eine Beziehung zu Juden aufzubauen, weshalb er beispielsweise ihre Art des Fastens übernommen habe. Nachdem aber die Annäherung politisch gescheitert sei, sei es zu sehr harschen distanzierenden Formulierungen gekommen.
Laut Khorchide bleibt in den arabischen Ländern und der Türkei dieser situative Bezug überwiegend unbeachtet. Die Aussagen würden seit der Gründung Israels vor 75 Jahren auf politischer Ebene dazu benutzt, das Existenzrecht des Staates infrage zu stellen. Je näher ein islamischer Staat am Nahost-Geschehen liege, umso mehr dominiere diese antisemitische Lesart. Weiter weg – etwa in asiatischen Ländern – spiele sie dagegen kaum eine Rolle.
Menschen mit arabischem oder türkischem Migrationshintergrund in Deutschland teilten überwiegend den Antisemitismus in ihren Herkunftsländern, so die beiden Wissenschaftler. Die dort vorherrschende einseitige emotionale Verbindung mit den Palästinensern und Ressentiments gegenüber Israel bekämen sie durch Soziale Medien vermittelt, so Ucar. Viele Verschwörungstheorien, wonach Israel die Weltherrschaft anstrebe, geisterten durch digitale Kanäle. Das vom Nahen Osten gezeichnete Bild unterscheide sich diametral von dem, was in deutschen Medien zu sehen, hören oder lesen sei.
Moscheen in Deutschland halten sich zurück
Die Moscheen in Deutschland geben sich nach Einschätzung von Khorchide mit Blick auf Israel zurückhaltend. Die Devise laute: Nur nichts Falsches sagen, um sich nicht dem Vorwurf des Antisemitismus auszusetzen. So habe es bei den zentral vorgegebenen Freitagspredigten der Ditib bisher keine Auffälligkeiten gegeben. Außenstehenden bleibe es aber verborgen, was intern und nicht öffentlich besprochen werde.
„Imame aus arabischen Moscheen berichten mir, dass sie sich regelrecht zwischen den Stühlen fühlen“, so Khorchide. Gemeindemitglieder erwarteten von ihnen, die Hamas als Befreiungsbewegung zu bezeichnen. Die Imame wiederum befürchteten eine Schließung ihrer Moschee bei Kritik an Israel. „Wir können es nur falsch machen“, klagten sie.
Ucar: Vorbehalte gegenüber Israel müssen zur Sprache kommen dürfen
Die beiden Wissenschaftler plädieren dafür, die unterschiedlichen Sichtweisen aufzubrechen. „Dazu müssen die verschiedenen Narrative auf den Tisch gelegt werden“, betont Khorchide. Ein schwieriges Unterfangen. So hätten vor einer öffentlichen Uni-Diskussion über den Nahost-Konflikt Studenten der Islamwissenschaften sich verunsichert an ihn gewandt und gefragt, wie offen sie sich äußern dürften.
Vorbehalte gegenüber Israel müssen zur Sprache kommen dürfen, fordert auch Ucar. Es sei legitim, die Siedlungspolitik oder die faktische Aufgabe der Zwei-Staaten-Lösung zu kritisieren. Nur durch einen aufrichtigen Diskurs lasse sich Bewusstsein ändern. Eine einseitige Dämonisierung Isreals, wie es zuweilen geschehe, verbiete sich jedoch.
Khorchide sieht hier eine besonders große Aufgabe für die Bildung. Selbstkritisch merkt er an, dass viele islamwissenschaftliche Institute den Antisemitismus im Rahmen des Nahostkonflikts noch nicht thematisiert hätten. Notwendig seien aber auch Handreichungen für Lehrer. Diese dürften nicht nur theoretisches Wissen über Antisemitismus enthalten. Noch wichtiger seien Hilfen mit Blick auf die Frage: „Wie gehe ich mit den geballten Emotionen um?“