Ins Gesicht geschrieben

Als vor 75 Jahren über Hiroshima und Nagasaki Atombomben explodierten, starben Zehntausende sofort. Die Überlebenden wurden schwer gezeichnet. Fotograf Thomas Damm hat einige porträtiert.

Porträt eines der Opfer vom Atombombenabwurf auf Hiroshima.
Porträt eines der Opfer vom Atombombenabwurf auf Hiroshima.Thomas Damm

Hannover. „Ich verheimlichte meine Erfahrung, da die Schwiegermutter meiner Tochter den Verdacht hatte, dass ich durch die Bombe verstrahlt wurde. Aber jetzt ist es kein Geheimnis mehr.“ Als Tomoko Sasaki 2015 offen über ihre Erinnerungen an den US-Atombombenabwurf von Hiroshima spricht, da ist sie 79 Jahre alt.

Fast ihr ganzes Leben hatte sie darüber geschwiegen. Dass sie einst als Kind 15 Kilometer von Hiroshima entfernt verbrannte Papiere aufsammelte, die vom Himmel fielen – aus Angst, keinen Partner zu finden, und später, damit ihre Tochter keine Nachteile hat. Das erzählt sie dem Fotografen Thomas Damm, der sich Zeit für Sasaki und 31 weitere Gesprächspartner nimmt. Sie alle eint ein Schicksal: Als Kinder wurden sie in Folge des Atombombenabwurfs radioaktiv verstrahlt.

Die vergessenen Opfer von Hiroshima

Doch weil sie 1945 nicht innerhalb einer behördlich festgelegten Zone rund um Hiroshima lebten, wurden sie nicht als Strahlenopfer anerkannt, kostenlose medizinische Hilfe blieb ihnen versagt. Schlimmer noch: Bei vielen galten sie als „faule Betrüger“, die nur simulierten. Mit großformatigen Schwarz-Weiß-Porträtfotos will Damm an diese vergessenen Opfer von Hiroshima erinnern. Sie sind zum 75. Jahrestag des Atombombenabwurfs in der Galerie für Fotografie in der Eisfabrik Hannover zu sehen. Die Ausstellung läuft bis zum 23. August.

 

Fast alle Porträtierten sind heute über 80 Jahre alt und vom Leben gezeichnet. Manche blicken ernst den Betrachter an, andere halten die Augen geschlossen, einigen stehen Trauer und Scham ins Gesicht geschrieben. „Bis in die 50er-Jahre war es in Japan tabu, über Hiroshima und Nagasaki und die damit verbundene Kapitulation des Kaisers zu sprechen oder zu schreiben“, sagt Damm, der in Hiroshima ein Auslandssemester verbrachte.

Die Opfer tun sich schwer zu reden

Masaahi Takano war sieben Jahre alt und in der Schule, als die Bombe fiel. Er erinnert sich an eine große Pilzwolke, an die Verdunkelung des Himmels, an schwarzen Regen und brennende Sachen, die vom Himmel fielen. Takano hatte über Jahre Durchfall, dauerhaft Nasenbluten, litt unter Blutarmut und Haarausfall. „Ich habe nicht gedacht, dass ich alt werde. Später habe ich nie über die Erlebnisse gesprochen. Auch meiner Frau habe ich nichts gesagt.“ Die Sorge, dass bei den Kindern und Enkelkindern Erbschäden auftreten könnten, ist allgegenwärtig.

In einem Film, der in der Ausstellung zu sehen ist, sagt der heute 82-Jährige im Interview mit Damm: „Die Opfer von Fukushima können nicht über ihre Angst vor der Radioaktivität sprechen, die Regierung spielt alles herunter. Es gibt viele Parallelen zu Hiroshima.“ Und Takano fügt hinzu: „Alle mit unseren Erfahrungen haben bis heute Angst vor dem Einsatz von atomaren Waffen in einem Krieg.“ Masayuki Matsumoto wollte sich nicht damit abfinden, dass ihm die Anerkennung als Hibakusha (Strahlenopfer) versagt wurde.

Auf seine Initiative hin reichten vor fünf Jahren 88 Betroffene eine Klage ein, in der sie eine rechtliche Gleichstellung forderten. In der vergangenen Woche hat nun ein Gericht in Japan entschieden, dass ihnen wie den übrigen Überlebenden der Atombombenabwürfe zwei kostenlose medizinische Untersuchungen sowie eine kostenlose Gesundheitsvorsorge pro Jahr zustehen. Von den 88 Klägern sind inzwischen 13 verstorben, darunter auch Matsumoto.

Ausstellung in Partnerstadt Hannover

Dass die Ausstellung in Hannover stattfindet, ist kein Zufall. Zum einen lebt Damm hier. Zum anderen besteht seit mehr als 50 Jahren ein Jugendaustausch mit Hiroshima, das seit 1983 auch die Partnerstadt von Hannover ist. Immer zum Jahrestag des Atombombenabwurfs am 6. August finden in der niedersächsischen Landeshauptstadt am Hiroshima-Gedenkhain, in dem 110 Kirschbäume für 110 000 Tote stehen, Gedenkveranstaltungen statt.

Zudem läutet in der vom Krieg zerstörten Aegidienkirche eine von der Stadt Hiroshima gestiftete Friedensglocke, und es wird zur Friedensandacht eingeladen. Abends schwimmen auf dem Maschteich hinter dem Neuen Rathaus Lampions zum Gedenken an die Opfer. Die Ausstellung „Black Rain Hibakusha“ ist bis zum 23. August in der Blauen Halle der Eisfabrik, Seilerstraße 15d in Hannover, von Donnerstag bis Sonntag von 12 bis 18 Uhr zu sehen. In der Weißen Halle der Eisfabrik läuft bis zum 16. August parallel eine Ausstellung mit Zeichnungen unter dem Titel „Humanität in der Bildenden Kunst? Hiroshima 75 Jahre danach …“. Am 21. und 22. August läuft im Kino in der Eisfabrik der Film „Barfuß durch Hiroshima“.

Weitere Infos gibt es auf www.thomasdamm.com.