Inklusive Ausstellung rückt mittelalterliche Kunst in neues Licht

“Das Mittelalter war so mittel, Alter” oder “Wer war das noch mal?” – so heißen Kunstwerke in einer Aachener Ausstellung. Sie stammen von Menschen mit Beeinträchtigungen. Wie sie sich von mittelalterlicher Kunst inspirieren ließen.

Ein Gemälde zeigt Jesus mit Papstkrone zwischen vier Heiligen. Einem Bösewicht gelingt der Raub dieses Kunstwerks. Doch Super-Tim eilt zur Hilfe, findet es auf einem Markt in Paris und bringt es zurück ins Museum. Diese Geschichte erzählt ein Comic, der in einer neuen Ausstellung in Aachen zu sehen ist. Die Schau “Ansichtssachen – alte Schätze neu betrachtet” im Suermondt-Ludwig-Museum zeigt rund 40 Kunstwerke von 14 Menschen mit geistiger Beeinträchtigung – neben Werken aus dem Mittelalter, die als Inspiration dienten. Sie ist von Donnerstag bis zum 5. Januar zu bestaunen.

Die Künstlerinnen und Künstler arbeiten in den Werkstätten der Lebenshilfe Aachen. Sie nutzten nicht nur Papier und Stift, sondern auch Kohle, Acryl oder ein Tablet, um ihre Gedanken und Gefühle wiederzugeben. “Das Mittelalter war so mittel, Alter”, “Grüße zurück” oder “Wer war das noch mal?” heißen zum Beispiel ihre Werke.

Jeder Künstler konnte sich bei einem Rundgang durch die Dauerausstellung des Museums ein oder auch mehrere Exponate aussuchen, die ihm als Inspiration dienen. Hinter dem Superhelden-Comic steht der 20-jährige Nam Vu. Warum hat er sich ausgerechnet das Jesus-Bild ausgesucht? “Weil es einfach gefällt”, sagt der junge Mann. Die Darstellung mit den fünf Personen sei für ihn einfach “passend und cool” gewesen.

Die Kuratorin Maria Geuchen ist begeistert von der Offenheit der Künstler. Beim Rundgang zu Beginn des Projekts wurde sie mit Fragen gelöchert: Wofür war das da? Was war da drin? Oder auch: Wieso hat der heilige Veit in einem Kessel mit heißem Öl denn keine Schmerzen? Diese 500 Jahre alte Figur veranlasste Mahir Akpunar zu einer Kohlezeichnung. Sie trägt den Titel “Whirlpool”.

Vu, Akpunar und ihre Kollegen seien “super Gäste” gewesen, sagt Geuchen, weil sie einen sehr unmittelbaren Zugang hätten. Die Antworten auf ihre Fragen seien in das eine oder andere Kunstwerk eingeflossen.

Damit alle Besucher die Kunstwerke verstehen können, ist die Broschüre zur Ausstellung in Einfacher Sprache verfasst. Es sei ihr wichtig gewesen, dass sich Menschen mit und ohne Beeinträchtigung die Schau erschließen können, sagt Geuchen. Es ist die erste Ausstellung, die sie kuratiert. Man merkt, dass sie viel Herzblut in das Projekt gesteckt hat.

Das Projekt ist nicht die erste Kooperation des Museums und der Lebenshilfe-Werkstätten. Bereits im Frühjahr 2023 starteten sie den Versuch, mit modernen Werken einen neuen Blick auf mittelalterliche Kunst zu lenken. Das gelang und wird deshalb nun fortgesetzt, wie Museumsdirektor Till-Holger Borchert erklärt.

Zwei Dinge seien ihm dabei wichtig. Zum einen wolle er Dialog fördern in einer Zeit, in der man verliere miteinander in Dialog zu treten. Zum anderen plädiere er für einen bestimmten Blick auf die neu geschaffenen Kunstwerke: “Wir sehen das jetzt durch eine bestimmte Brille. Ich weiß nicht, ob es diese Brille braucht.” Es sei für die Kunstwerke nicht wichtig, ob sie von Menschen mit oder ohne Beeinträchtigung geschaffen wurden. “Sie stehen für sich.”

Ganz nah an den Künstlerinnen und Künstlern war auch Hans Bothur, der künstlerische Leiter der Lebenshilfe-Werkstätten. Ihm habe die Arbeit mit den Menschen im Museum besonders viel Spaß gemacht, erklärt er: “Man gibt immer relativ viel, aber bekommt extrem viel zurück.”

Vus Comic hat es ihm besonders angetan. Bothur erinnert sich, wie der Künstler freudig mit seiner Staffelei im Gepäck durchs Museum lief und sich vor “seinem” Kunstwerk positionierte. Er verrät, dass die Rettung des Jesus-Bilds nicht Tims erste Heldentat war. Den Superhelden hat Vu vor einiger Zeit erfunden und schon in dem einen oder anderen Comic gegen Bösewichte gewinnen lassen. Vielleicht werden die anderen zehn Folgen ja auch bald veröffentlicht.