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Influencerin: Ernsthafte Inhalte können online funktionieren

Auf Tiktok gibt’s eh nur Tanz- und Schmink-Videos? Susanne Siegert beweist das Gegenteil: Ihr Account @keineerinnerungskultur erreicht Hunderttausende. Daraus könnten Parteien und Institutionen lernen.

Susanne Siegert, preisgekrönt für ihre Social-Media-Aufklärung über die NS-Zeit, hat Tiktok nach eigenen Worten zunächst selbst skeptisch bewertet. Ihr sei jedoch aufgefallen, dass sie beim Verfolgen von “eher spaßigen Inhalten” zugleich viel lerne, “etwa über Rassismus”, sagte Siegert im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). “Deshalb glaube ich, dass diese Plattform sehr gut geeignet ist, um Menschen zu erreichen – und zwar auch solche, die nicht gezielt nach Inhalten wie meinen suchen.”

Viele Menschen hätten ihre Mediennutzung komplett auf Tiktok und ähnliche Plattformen ausgerichtet, betonte Siegert. Daher wünsche sie sich dort auch mehr Präsenz seriöser Angebote: “Viele Gedenkinstitutionen haben gar keine oder keine gute Social-Media-Strategie. Dabei wäre es viel einfacher zu sagen, wir machen einen guten Podcast oder Youtube-Kanal – als gleich Margot Friedländer als Hologramm in jedes deutsche Klassenzimmer zu bringen.”

Es sei nicht “unüberwindbar schwierig”, mit ernsthaften Inhalten auf Tiktok ein Publikum zu finden, sagte die Expertin, der insgesamt etwa 400.000 Menschen folgen. Angesichts dessen, was sie selbst allein aus ihrem Wohnzimmer gestalte, habe sie den Eindruck, dass etwa politische Kommunikationsteams diese Plattform oft nicht ernstnähmen.

Ebenso könnten die Kirchen etwa Gedenktage nutzen, um – auch auf Social Media – ihre Rolle in der NS-Zeit zu reflektieren: “Für mich war es sehr eindrucksvoll zu erfahren, wie sich einige Bischöfe gegen die Vernichtung von sogenanntem lebensunwerten Leben geäußert haben. An anderen Stellen taten sie es nicht, vielleicht war es nicht möglich.” Zudem gebe es erschreckende Parallelen zur NS-Zeit darin, wie heute über Menschen mit Behinderung oder Krankheit gesprochen werde, mahnte Siegert. Am Freitag erscheint ihr Buch “Gedenken neu denken”.