In wenigen Schritten vom Michel zum Petersdom

Im Miniatur Wunderland in der Hamburger Speicherstadt sind unter den mehr als 4.000 Gebäuden auch viele Kirchen. Wie viele genau, weiß niemand – nicht mal Gaston Burkhardt, der schon so einiges in der weltgrößten Modelleisenbahnanlage gebaut hat.

Modell der Hauptkirche St. Michaelis (Michel) in Hamburg im Miniatur Wunderland Hamburg.
Modell der Hauptkirche St. Michaelis (Michel) in Hamburg im Miniatur Wunderland Hamburg.epd/Philipp Reiss

Hamburg. Wenn der Hamburger Michel renoviert werden muss, ist Fingerspitzengefühl gefragt. Es gilt, 15.000 Teile vorsichtig abzubürsten, sauber zu wischen, neu zu bemalen und brüchige Steine auszutauschen. Was bei der echten Hauptkirche ein Vierteljahrhundert gedauert hat, brauchte im Miniatur Wunderland vier Wochen. Der etwa ein Meter große Michel war eine der ersten Kirchen auf der Modelleisenbahnanlage. Nach 15 Jahren musste er jetzt mal renoviert werden. 
Wie viele Kirchen auf den 1.499 Quadratmetern Fläche im Wunderland insgesamt stehen, habe nie jemand so richtig gezählt, sagt Modellbauer Gaston Burkhardt. "Aber allein in Italien sind es 25, davon drei in Venedig und zehn in Rom". Darunter ist auch der Petersdom, in dem Besucher den Papst gleich mehrfach entdecken können.

"Wunderländer" mit Leidenschaft

Einen festen Kirchenbauer gibt es im Miniatur Wunderland nicht. Jeder kann alles und baut je nach Interesse – Häuserfronten und Containerschiffe ebenso wie Gebirgsregion und Massendemonstration. Burkhardt hat schon so manches Gotteshaus mitgebaut, denn er ist seit 18 Jahren "Wunderländer", wie sich die Mitarbeiter selbst nennen. Zuletzt schuf er die St. Barbara-Kirche im Abschnitt Österreich. Das Original ist von Friedensreich Hundertwasser und steht in der Steiermark. Gesehen hat der 63-Jährige die Kirche allerdings nur auf Bildern. Fotos und Google Maps dienen häufig als einzige Vorlage für Gebäude und ganze Landschaften. Als das Team anfing, Italien zu bauen, war das anders: 60 Kollegen fuhren für eine Woche nach Italien, sammelten Eindrücke und schossen Tausende Fotos. "Da leg ich mich dann auch mal rücklings in die Mitte der Kirche auf den Boden, um alle Fenster draufzukriegen", erzählt Burkhardt.
Die Details machen die Faszination der weltgrößten Modelleisenbahnanlage aus. In jedem noch so kleinen Eckchen lassen sich Situationen und Geschichten entdecken. Viele sind der Kreativität der Modellbauer entsprungen, andere gibt es auch im echten Leben: So wie den Türmer auf dem Michel. Auf Knopfdruck ertönen die vier Choräle, die vom Turm der echten Hauptkirche tatsächlich zweimal täglich gespielt werden. Während vor fünfzehn Jahren auch noch vorgefertigte Modellsätze verbaut wurden, bilden die meisten der Gebäude und Straßenzüge inzwischen echte Originale ab. Und die werden dann so detailgetreu wie möglich gebaut. Die Stabkirche Heddal im Abschnitt Norwegen etwa hat ebenso wie die Eismeerkathedrale Tromso ein originales Vorbild.

"Uns ist hier egal, wer wen liebt"

Das besondere Detail bei der Kathedrale ist das gleichgeschlechtliche Brautpaar vor der Kirche, mit Schleier und rotem Teppich und umringt von Freunden und Familie. "Uns ist hier egal, wer wen liebt – und solche Botschaften wollen wir auch durchaus in unseren Welten rüberbringen", sagt Burkhardt. Auch aktuelle gesellschaftliche Themen wie Proteste gegen den G20-Gipfel, Debatten um die Rettungsgasse und die Wahl von US-Präsident Trump greifen die Macher vom Wunderland regelmäßig auf. Für sichtbaren Protest sorgte die Verbindung zwischen den Flächen Hamburg und Dänemark: Um eine Bahnbrücke bauen zu können, sollte Burkhardt eins der ersten Gotteshäuser des Wunderlandes entfernen. "Die Kirche muss bleiben", beschloss er. Kurzerhand baute er das Spitzdach des Kirchenschiffs zu einem Flachdach um. So steht der kleine Rotklinkerbau, für den es kein echtes Vorbild gibt, noch heute zwischen Köhlbrandbrücke und Nordseeküste. Vorübergehend verdeutlichte damals eine Gruppe Demonstranten mit "Die Kirche bleibt im Dorf!"-Plakaten Burkhardts kleinen Protest.

Modellbau in Perfektion

Mit normalem Modellbau hat das nicht mehr viel zu tun. Klassische Modellbauer gehören daher auch gar nicht zum Team. Eher sind es Tischler, Illustratoren, Grafiker und Zahntechniker. Burkhardt ist eigentlich Intarsienschreiner. Früher war er auch mal Boxer und so einiges andere, "aber vor allem bin ich ein Holzwurm", schwärmt er – am liebsten würde er alles aus Holz bauen. Für die Details der St. Barbara-Kirche ging er in Hamburg im Park spazieren: Er sammelte die Hütchen von Eicheln und baute daraus den vierstöckigen Brunnen vor der Kirche. Die Sonnenuhr testete er im Hamburger Sonnenschein, "die funktioniert." Bei einem Schiffsmodell hat Burkhardt "Schaschliksteckerle" (Schaschlikspieße) und an den Hamburger Landungsbrücken Kieselsteine von der Willy-Brandt-Straße verwendet. Bevor er in zwei Jahren offiziell in den Ruhestand geht, würde Burkhardt gern noch mal eine Moschee bauen. "Schließlich haben wir viele muslimische Kollegen." Er hat sich schon überlegt, wie er ein feingliedriges Minarett bauen könnte. In welches Land er die stellen würde, verrät er noch nicht. (epd)