In „Mr. Holmes“ brilliert Ian McKellen als alter Sherlock Holmes

Kinolegende Ian McKellen („Gandalf“) als 93-jähriger Sherlock Holmes: Das klingt nicht nur spannend, das ist es auch. McKellen macht „Mr. Holmes“ zu einem im Kleinen großen und großartigen Film.

In Zusammenarbeit mit filmdienst.de und der Katholischen Filmkommission gibt die KNA Tipps zu besonderen TV-Filmen:

Die Figur des Meisterdetektivs Sherlock Holmes hat (nicht nur) im Kino unzählige Variationen erfahren, die ihn abgesehen von den originalgetreuen Adaptionen der Vorlagen von Arthur Conan Doyle u.a. verjüngten, in fremde Zeiten versetzten, mit prominenten Zeitgenossen wie Jack the Ripper oder Sigmund Freud konfrontierten, parodierten oder in Tiere verwandelten.

US-Regisseur Bill Condon zeigt in „Mr. Holmes“ von 2015 einen steinalten Detektiv, der das wohl letzte Rätsel seines Lebens löst: Als 93-Jähriger lebt Sherlock Holmes (überragend: Ian McKellen) zurückgezogen in einem Landhaus in Sussex, widmet sich der Bienenzucht und weist Roger (Milo Parker), den Sohn seiner Haushälterin (Laura Linney), in die Geheimnisse der Imkerei ein. In seine verdämmernde Gegenwart mischen sich Erinnerungen an eine Japan-Reise sowie Bilder eines bislang ungelösten Falls.

Das kluge Altersdrama verhilft dem Meisterdetektiv zu mehr Menschlichkeit. Die Inszenierung nutzt die Gedächtnislücken zur assoziativen Verschränkung der Erzählebenen, ohne darüber das Grundgerüst einer Detektiv-Story aus den Augen zu verlieren.

Ein britischer Gentleman kehrt im Jahr 1947 von einer Reise aus Japan zurück. Er hat dort nach einer Pflanze gesucht, mit deren Wirkstoffen er seiner beginnenden Demenz Herr zu werden hofft. Es fällt nicht leicht, dem eigenen geistigen Zerfall zuzusehen. Insbesondere, wenn man früher über den scharfen Verstand und das brillante Gedächtnis eines Meisterdetektivs verfügte. Denn der Gentleman ist kein Geringerer als Sherlock Holmes.

Regisseur Bill Condon stellt hier keinen weiteren heiter-kniffligen Holmes-Detektivfilm vor, wie sie in den letzten 20 Jahren so zahlreich entstanden sind. Die freie Adaption von Mitch Cullins Roman „A Slight Trick of the Mind“ (2005) von 2015 spielt in den Jahren, als Holmes-Erfinder Sir Arthur Conan Doyle seinen Protagonisten definitiv in Pension geschickt hatte.

Holmes lebt jetzt zusammen mit seiner Haushälterin Mrs. Munro und deren Sohn Roger in Sussex und vertreibt sich die Zeit als Hobby-Imker. Roger geht ihm dabei zur Hand. Überhaupt haben der alte Mann und der Junge, sehr zum Ärger seiner Mutter, ein spezielles Verhältnis zueinander, das sich noch vertieft, als Roger heimlich Holmes‘ Aufzeichnungen liest und diesen darauf anspricht. Holmes hadert noch immer mit seinem letzten Fall, dem einzigen, den er – ob aus Unachtsamkeit oder aus persönlichen Ängsten – nicht zu seiner Zufriedenheit gelöst hat.

Der Film verschachtelt die drei Ebenen – die Japan-Reise, den 30 Jahre zurückliegenden Fall sowie den Alltag in Sussex – assoziativ miteinander, wobei das lückenhafte Gedächtnis des Protagonisten und sein häufiges Wegdämmern, das den Film um die Ebene des Traumes bereichert, als Cliffhanger und Sprungbrett dienen.

Das Erzähltempo ist Holmes‘ Alter und der ländlichen Umgebung angepasst. Die Gemächlichkeit dominiert selbst dann, wenn es im Notfall um Tod und Leben geht. Man hat ja nichts (mehr) zu verlieren, und lösen lassen sich knifflige Angelegenheiten noch immer am besten mit scharfem Nachdenken und hellem Verstand.

Hier bewegt sich „Mr. Holmes“ dann doch auf der Ebene einer Detektiv-Story: Das Eine findet schließlich zum Anderen, und was ursprünglich zu unterschiedlichen Zeiten und an verschiedenen Orten nicht in Beziehung zu stehen schien, fügt sich meisterlich zusammen.

Nebenbei wird aufgeräumt. Etwa mit überkommenen Legenden wie jenen, dass Holmes immer eine Deerstalker-Mütze trägt und Pfeife raucht, wo er in Wahrheit doch lieber barhäuptig geht und Zigaretten vorzieht. In 221B Baker Street hat er übrigens auch nie gewohnt; ein vernünftiges Arbeiten wäre beim allzeitigen Touristenrummel gar nicht möglich gewesen. So ist „Mr. Holmes“ auch eine amüsante Abrechnung mit dem Popkultur-Phänomen Sherlock Holmes.

Gespielt wird Holmes von Ian McKellen („Gandalf“ aus „Herr der Ringe“ und „Der Hobbit“), was der größte Trumpf des Films ist, der als Altersdrama für Holmes-Fans harte Kost sein dürfte. McKellen und Condon haben schon einmal zusammengearbeitet: In dem Film „Gods and Monsters“ (1998) spielte McKellen den offen homosexuellen und deswegen bis zur Verzweiflung schikanierten „Frankenstein“-Regisseur James Whale.

Schon dieses Drama lebte über weite Strecke von McKellens Ausdruckskraft, und das tut „Mr. Holmes“ fast noch mehr. Hier spielt der 76-Jährige einen 93-Jährigen, der unter seinem schwindenden Verstand weit mehr leidet als unter seiner Gebrechlichkeit, mit sensationell beherrschtem Mienenspiel, aber auch mit einer aus dem Inneren kommenden Klugheit und berührender Güte.

McKellen verhilft dem Meisterdetektiv, den man im Kino nur zu oft als Mann ohne (menschliche) Eigenschaften gesehen hat, zu einer Menschlichkeit, die den Film bisweilen wie die Biografie eines realen Menschen erscheinen lässt, dessen Bild in den Medien jahrzehntelang verzerrt wurde. Was für ein im Kleinen großer und großartiger Film!