In Haiti dreht sich die Spirale der Gewalt immer weiter

Die Lage im ärmsten Land der westlichen Hemisphäre gerät immer weiter außer Kontrolle. Nun berichten lokale Medien über einen brutalen Überfall auf ein Krankenhaus.

Eine bewaffnete Bande in Haiti hat am Mittwoch in Haiti ein Krankenhaus gestürmt und Frauen, Kinder und Neugeborene als Geiseln genommen. „Wir sind in großen Schwierigkeiten“, sagte Jose Ulysse, Gründer und Direktor des Krankenhauses Fontaine im Armenviertel Cite Soleil in der Hauptstadt Port-au-Prince, laut der Zeitung „Listin Diario“ (Mittwoch Ortszeit). In den Sozialen Netzwerken sprach Ulysse davon, dass Hunderte Krankenhauspatienten als Geiseln genommen seien. Eine unabhängige Bestätigung für diese Information gibt es allerdings nicht.

Das Krankenhaus gilt als letzte Zuflucht in einem der gefährlichsten Armenviertel Haitis, in dem sich Banden brutale Kämpfe liefern. Immer wieder gibt es Berichte über Vergewaltigungen, Folter und Gewalt gegen Bewohner. Besonders Frauen und Mädchen sind den Übergriffen der meist männlichen Bandenmitglieder völlig schutzlos ausgeliefert. Laut „Listin Diario“ macht Ulysse die sogenannte Brooklyn-Gang für den Überfall verantwortlich. Die „Brooklyn-Gang“ soll Berichten zufolge etwa 200 Mitglieder haben.

In einem jüngst erschienenen UN-Bericht werden der Bande Erpressung, Entführung, Raub und allgemeine Gewalt gegen Zivilisten vorgeworfen. Die Bande und ihre Verbündeten hätten ihre Zusammenarbeit stark ausgebaut und ihre Einkünfte insbesondere durch Entführungen gegen Lösegeld diversifiziert. Das habe ihnen ermöglicht, ihre Kampfkapazitäten zu stärken, heißt es in dem UN-Bericht.

Die seit Monaten außer Kontrolle geratene Gewalt hat sich auch in der Mordrate niedergeschlagen. Im dritten Quartal stieg die Zahl der registrierten gewaltsamen Tötungsdelikte von 577 (2022) auf 1.239 im laufenden Vergleichszeitraum; eine neue Höchstmarke, wie es in einem dazu veröffentlichten Bericht der Vereinten Nationen heißt. Auch die Zahl der Entführungen nahm den Angaben zufolge deutlich zu. Unter den 701 Entführten seien 221 Frauen, 8 Mädchen und 18 Jungen. Die UN gehen davon aus, dass 60 Prozent des Stadtgebietes von Port-au-Prince von bewaffneten Banden kontrolliert werden.

Die katholischen Bischöfe hatten jüngst von einer der schwersten Krisen des Landes berichtet. Haiti stehe unter der Herrschaft bewaffneter Banden, die Angst und Schrecken verbreiteten und Hunderte Familien in Trauer versetzten: „Der Staat hat die Kontrolle über das Staatsgebiet verloren“, so die Bischöfe. Die Bevölkerung sei der „gnadenlosen Gewalt der Banden und ihrer Verbündeten“ ausgeliefert.

Die Hiobsbotschaften aus dem Karibikstaat reißen nicht ab. Haiti leidet laut UN-Angaben unter einer noch nie da gewesenen Nahrungsmittelknappheit. Fast die Hälfte der Bevölkerung, etwa 4,9 Millionen Menschen, habe nicht genug zu essen, um gesund zu überleben. Das ärmste Land der westlichen Hemisphäre wurde zudem in den vergangenen Jahren von Naturkatastrophen wie Erdbeben und Wirbelstürmen erschüttert. Zuletzt kam noch eine Cholera-Welle mit Hunderten Toten hinzu.

Die politische Lage auf Haiti ist extrem instabil. Im Juli 2021 war Staatspräsident Jovenel Moise ermordet worden; Neuwahlen sind seit Jahren ausgesetzt. Haitis Parteien gelten als hoffnungslos zerstritten. Das Nachbarland Dominikanische Republik schloss als Folge eines diplomatischen Streits sowie wegen anhaltender Migration aus Haiti die Grenze. Die UN wollen seit längerem eine internationale Sicherheitsmission ins Land schicken, kommen bei dem Vorhaben aber nicht richtig voran.