Warten auf Bewerber: Immer öfter und länger sind Stellen in der Behindertenhilfe der Diakonie unbesetzt. Die Folgen des Personalmangels seien deutlich spürbar, sagt die Pastorin Sabine Ulrich, Geschäftsführerin der Rotenburger Werke, einem großen diakonischen Anbieter der Behindertenhilfe in Nordniedersachsen mit rund 2000 Beschäftigten. „Plätze werden nicht wiederbelegt. Zudem werden bei uns neue Wohngruppen mit insgesamt rund 35 Plätzen nicht eröffnet.“
Die Rotenburger Werke sind damit nicht allein: Nach einer aktuellen Umfrage des Bundesverbandes evangelische Behindertenhilfe bleiben in der Diakonie rund 60 Prozent der offenen Fachkräftestellen im Schnitt länger als sechs Monate unbesetzt. 53 Prozent der 147 teilnehmenden Träger gaben an, dass wegen Personalmangels Einrichtungsplätze nicht wieder besetzt wurden, 66 Prozent der Befragten setzen bereits Zeitarbeiter ein. „Der Einsatz von Fremdpersonal ist an vielen Stellen fast schon normal“, bestätigt Sabine Ulrich.
Mehr Pflegebedürftige, weniger Pflegende
Personalmangel ist in vielen Einrichtungen schon länger eine Herausforderung. „Die Pflege-Branche hat in den letzten Jahren allgemein mit einem starken Fachkräftemangel zu kämpfen“, sagt Ulrich.
Durch den demografischen Wandel steigt die Zahl der Pflegebedürftigen, gleichzeitig wollen immer weniger Auszubildende einen Pflegeberuf erlernen. „Das führt dazu, dass die gesamte Branche starke Probleme hat, geeignete Fachkräfte zu finden, unabhängig davon, ob es um die Pflege von älteren Menschen, Patienten in Krankenhäusern oder Menschen mit Beeinträchtigung geht“, stellt Sabine Ulrich fest.
Rotenburger Werke bilden Fachkräfte an eigenen Schulen aus
Die Rotenburger Werke beobachten diese Problematik besonders in den pflegeintensiven Wohngemeinschaften, in denen Menschen mit komplexen Behinderungen und intensivem Assistenzbedarf leben. In Wohnbereichen mit pädagogischem Schwerpunkt sei die Bewerberlage dagegen noch vergleichsweise gut.
Um auch künftig die Bewohner verlässlich zu versorgen, bilden die Rotenburger Werke Fachkräfte an eigenen Schulen aus. Zudem wurden die Bereiche Recruiting und Personalmarketing stark ausgebaut, heißt es von der Einrichtung.
Bewerbermangel vor allem bei Schichtarbeit
Auch die Anwerbung ausländischer Fachkräfte ist wichtig. Dies ist ein Arbeitsschwerpunkt für den Recruiter, Jannik Walter. „Wir haben im letzten Jahr begonnen und bauen diesen Bereich aus“, sagt er. „Uns ist eine langfristige Perspektive wichtig. Wir wollen, dass sich unsere ausländischen Fachkräfte bei uns wohlfühlen und möchten ihnen nicht nur einen Job, sondern im besten Fall auch ein neues Zuhause bieten.“ Er unterstützt neue Kollegen bei Behördengängen oder der Wohnungssuche, hausintern gibt es Sprachkurse.
Nach Einschätzung von Jeanne Nicklas-Faust, Bundesgeschäftsführerin der Lebenshilfe, zeigt sich der Bewerbermangel besonders im Bereich Wohnen, „weil dort als unattraktiv geltende Rahmenbedingungen vorherrschen: Schichtdienst und Arbeit zu ungünstigen Zeiten, auch an Wochenenden“.
Jenny Röschmann von den zum diakonischen Werk gehörenden Gemeinnützigen Werkstätten Oldenburg bestätigt das. Insgesamt könne man Stellen in den Platz für rund 800 Menschen bietenden Einrichtungen zwar schnell wieder besetzen – da sei man in Oldenburg in einer glücklichen Situation – „aber Durststrecken hatten wir auch“, sagt sie. „Wechselnde Dienste abends, nachts und am Wochenende führen dazu, dass gerade in den Wohnhäusern immer wieder Stellen frei werden.“
