Immer ein Platz am Tisch
Vor zehn Jahren ging die Kieler Sozialkirche an den Start – als bundesweit erste. Seitdem wird vielen Menschen geholfen. Doch es hat sich auch einiges geändert.
Kiel. Wenn die Ruhe nach dem Sturm beginnt, ist das Surren der großen Kühlschränke zu hören. Stille herrscht nie in der Sozialkirche. Der Sturm, das sind bis zu 150 Menschen, die dienstags, mittwochs, donnerstags und freitags zur Kieler Tafel strömen, die Kaffee trinken und auf die Austeilung der Waren warten, die per Losverfahren für sie beginnt. Andere sind hier, weil sie Rat suchen. Oder Gesellschaft.
Die Sozialkirche Gaarden feiert Pfingsten ihren zehnten Geburtstag. Im Januar 2009 wurde sie als erste Sozialkirche Deutschlands eingeweiht, im Juni 2008 verkündete der Kirchenkreis dazu den Umbau der St.-Matthäus-Kirche für 126 500 Euro, größtenteils getragen durch den Kieler Sonderfond „Soziale Stadt“. Wände wurden eingezogen: Es entstanden ein Ausgabe- und ein Lagerraum der Tafel, das großzügige „Café Feuerherz“ und ein Andachtsraum. Die Kirchenbänke schenkten die Kieler einer Gemeinde in Estland. Heute gibt es bewegliche Tische und Stühle statt starre Bankreihen.
"Hier wird zugehört"
Die Kirchengemeinde reagierte damit auf sinkende Mitgliederzahlen – und auf die Suche der Kieler Tafel nach neuen Räumen. Vorbild war damals die Sozialkirche im schwedischen Göteborg. Die Arbeit für Menschen leisteten von Anfang an drei Partner: Die Gaardener Kirchengemeinde St. Matthäus, die Kieler Tafel und die stadt.mission.mensch, die hier Langzeitarbeitslose beschäftigt.
Ragni Liv Mahajan ist die Pastorin der Sozialkirche. „Für viele bin ich als Pastorin die Vertrauensperson“, erzählt sie. „Hier kommt man täglich ins Gespräch.“ Die Menschen suchen Hilfe. Nach Geld werde selten gefragt, vielmehr gehe es ums Zuhören, Ernstnehmen, einfach da sein. Für die Roma-Familie, deren Kinder keine Schulplätze bekommen. Für die Geflüchteten, die fragen, was es denn mit dem Kirchenasyl auf sich hat. Für die alte Frau, deren Rente vorne und hinten nicht reicht. „Hier wird zugehört“, sagt Pastorin Mahajan. „Hier hält die Pastorin mit aus, was unerträglich ist. Die Schmerzen, das Leiden.“
Gaarden gilt als sozialer Brennpunkt Kiels. Die Arbeitslosigkeit ist doppelt so hoch wie sonst in der Stadt. „Die Sozialkirche ist einer wenigen Orte in Garden, wo Menschen einfach da sein können“, sagt Pastorin Ragni Liv Mahajan. Im Hebräerbrief steht: „Gastfrei zu sein vergesst nicht; denn dadurch haben einige ohne ihr Wissen Engel beherbergt“. Und so ist hier jeder willkommen, egal, welcher Religion.
Sanierung geplant
Wer mag, kann in der Sozialkirche in den Tageszeitungen oder Büchern stöbern. Im „Café Feuerherz“ gibt es einen günstigen Kaffee. Gesellschaft bieten Veranstaltungen wie Spielenachmittage oder Bingo. Regelmäßig finden Info-Nachmittage statt, dann geht es um Themen wie Pflegeleistungen und Mieterrechte. Über diese klärt auch die Sozialberatung der stadt.mission.mensch in ihrer Sprechstunde auf.
Der zehnte Geburtstag sei für die Sozialkirche ein Grund zur Freude, sagt Pastorin Mahajan. Schließlich gibt es viele Ehrenamtliche, die anpacken. „Ich hoffe, dass es gut weitergehen kann, wir wollen bauen und müssen sanieren“, sagt sie und deutet auf die weiße Farbe, die von den Kirchenwänden blättert. Und was in zehn Jahren sein wird? Geht es nach Ragni Liv Mahajan, dann ist im Jahr 2028 die Kirche allein ein Kunst- und Kulturort. „Ich wünsche, dass es Regierung, Stadt, Verantwortlichen gelingt, Lösungen zu finden, dass niemand auf Harz IV angewiesen ist“, sagt sie.
Info
Die Sozialkirche, Stoschstraße 52, feiert am Freitag, 25. Mai, von 15 bis 21 Uhr ein Fest und am Sonntag, 27. Mai, um 15 Uhr, einen Gottesdienst zum Jubiläum.