Immer ein bisschen Rampensau

Wichtig bei der Predigt ist nicht nur der Inhalt, sondern auch der Auftritt. Daran kann noch viel verbessert werden, meint Kathrin Oxen, Leiterin des Zentrums für Predigtkultur in Wittenberg

„Zipp!“, schreit es von rechts. Schnell nach links: „Zipp!“ „Boing!“ brüllt es von dort zurück, und das „Zipp“ wechselt die Richtung.

„Schneller“, fordert Felix Ritter und wirft mit einer zackigen Armbewegung auch noch ein „Zapp“ quer durch den Raum, so dass sein Gegenüber erschrocken zusammenzuckt. Die zehn Pfarrerinnen und Pfarrer im Kreis kommen ins Schwitzen bei dem Bemühen, nur ja keinen Fehler zu machen. Was für ein Stress. Und das soll gut sein für die Predigt?

Predigen nicht nur mit dem Mund

Ja – zumindest nach der Theorie von Kommunikationstrainer Felix Ritter, der das Seminar „TED-Talk und Predigt“ am Zentrum für evangelische Predigtkultur in Wittenberg leitet. Denn Predigen, das tut man seiner Erfahrung nach nicht nur mit dem Mund. Der ganze Körper sollte im Einsatz sein. Aus der Kirchenbank nimmt man das gar nicht bewusst wahr, aber wer sich auf der Kanzel bewegt, erscheint zugewandt und lebendig; ohne Bewegung dagegen steif und uninspiriert. „Wer die Arme hängen lässt, wirkt traurig“, erklärt Ritter. „Hoch damit. Und bewegen!“

Darum gehört das Aufwärm-Training an diesem Morgen zum Seminar dazu. Es soll helfen, einen festen Stand zu finden und Körper, Atem und Stimme locker zu machen. Die nächste Übung ist dann fast schon ein kleiner Auftritt auf einer Bühne: Vor der Gruppe soll jede und jeder Lieblingsgeräusche, -gerüche und -geschmäcker beschreiben. „Schaut den Leuten in die Augen, wenn ihr nach vorn kommt“, fordert Ritter die Pfarrerinnen und Pfarrer auf. „Lächelt. Flirtet mit eurem Publikum. Wenn einer sich angesprochen fühlt, fühlen sich alle angesprochen.“ Das klappt gut. Kein Wunder: Hier stehen Menschen, für die das öffentliche Reden zum Beruf gehört. Trotzdem gibt es überall noch etwas zu korrigieren. Aber das ist ja der Sinn des Seminars und des ganzen Predigtzentrums: besser predigen lernen. Auch mit Methoden, die erstmal überraschen.

Zeitgemäße Verkündigung wie bei Luther

„Es gibt keine schlechten Predigten, aber man kann immer noch etwas besser machen“, ist auch der Grundsatz von Kathrin Oxen, der Leiterin des Zentrums. Die Theologin hat ihr Büro im Hinterhof des historischen Cranach-Hauses am Marktplatz, wo schon Martin Luther mit seinem Freund und Verleger Lukas Cranach über den Druck seiner Bibelübersetzung diskutierte. Heute, knapp 500 Jahre später, geht es hier wieder um die zeitgemäße Verkündigung des Wortes Gottes – wenn auch mit Techniken, von denen Martin Luther nicht einmal träumen konnte.

Kathrin Oxen hat dafür unter anderem den „TED-Talk“ in ihr Seminarprogramm aufgenommen, eine Methode aus den USA. Kurz gesagt geht es darum, mündliche Vorträge so lebendig und interessant zu gestalten, dass die Zuhörer ihnen rund 20 Minuten lang konzentriert folgen können – und noch Spaß dabei haben. Das funktioniert dann, wenn die Vortragenden von ihrem Thema überzeugt sind und es in Geschichten verpacken, die die Menschen anrühren. Videos im Internet beweisen: Wer das gut macht, kann sogar mit einem Vortrag über Statistik im Gesundheitswesen fesseln.

Der Körper erzählt immer mit

Übertragen auf die Predigt bedeutet das: Der Auftritt muss stimmen, damit der Inhalt bei den Zuhörerinnen und Zuhörern – also der Gemeinde – wirklich ankommen kann. „Wir sind es leider gewöhnt, uns möglichst zurückzunehmen beim Predigen“, erklärt Oxen. Schließlich soll nach gut protestantischer Auffassung die Botschaft im Vordergrund stehen, nicht die Pfarrerin oder der Pfarrer. Wer die Kanzel (auch) als Bühne sieht, gerät schnell in den Verdacht der persönlichen Eitelkeit. „Dabei ist die Performance wichtig, damit die Rede wirken kann“, sagt die Theologin. „Pfarrerinnen und Pfarrer müssen immer auch ein bisschen Rampensau sein. Daran müssen wir in der Kirche noch viel mehr arbeiten.“

„Der Körper erzählt immer mit“, hat auch Stefanie Höhner beobachtet. Die westfälische Theologin absolviert seit einem Jahr ein Sondervikariat im Predigtzentrum und hat an vielen Seminaren und Coachings teilgenommen. „Wenn Bewegungen und Vortrag stimmig sind, lässt das die Leute leuchten.“

Viele Anregungen für die Gemeinde

Höhner hatte nach dem Vikariat Lust, über den Tellerrand zu schauen und daran mitzuarbeiten, neue Entwicklungen in der Predigtwissenschaft schneller im Gemeindealltag zu etablieren. Im Predigtzentrum hat sie eine ganze Bandbreite von Möglichkeiten kennengelernt. Dazu gehörten etwa Experimente mit der aktuell beliebten Kleinkunstform „Predigt-Slam“, aber auch Predigthilfen im Internet oder Facebook-Gruppen, in denen gerade entstehende Predigten diskutiert werden. „Ich nehme auf jeden Fall ganz viele Ideen mit in meine zukünftige Gemeinde“, sagt Höhner.

Natürlich geht es bei den Seminaren in Wittenberg nicht nur um den Auftritt, sondern auch um gründliche Arbeit am Bibeltext. „Bevor ich mit dem Schreiben beginne, muss ich herausfinden: Welche Idee aus dem Text ist es wert, weitergesagt zu werden? Dafür ist eine gründliche Exegese notwendig“, erklärt Leiterin Kath­rin Oxen. Um das zu unterstützen, können ebenfalls Elemente des TED-Talks hilfreich sein, aber auch ein intensives Durcharbeiten bereits gehaltener eigener Predigten, das Oxen mit weiteren Mitarbeitern des Instituts in der sogenannten „Cura homiletica“ anbietet, dem Predigt-Coaching für Einzelpersonen oder Gruppen.

Arbeit an der eigenen Person

Seit rund 15 Jahren beobachtet Oxen ein verstärktes Bemühen um die Predigt bei Pfarrerinnen und Pfarrern. „Viele sind bereit, an sich selbst zu arbeiten“, sagt sie – und das, obwohl die Predigtarbeit recht intim werden kann, geht es doch um die ganze Person der Predigenden, den eigenen Glauben, die körperliche Präsenz, die Stimme. All das auf den Prüfstand zu stellen, kostet Überwindung. Trotzdem kann sich das Zentrum für Predigtkultur mit seinen Angeboten kaum retten vor Anfragen. Kathrin Oxen ist jedenfalls überzeugt: „Egal was man macht – es ist besser als gar nichts.“