Im Zorn ist Liebe
Andacht über den Predigttext zum 14. Sonntag nach Trinitatis: Jesaja 12, 1-6
Predigttext
1 Zu der Zeit wirst du sagen: Ich danke dir, Herr, dass du bist zornig gewesen über mich und dein Zorn sich gewendet hat und du mich tröstest. 2 Siehe, Gott ist mein Heil, ich bin sicher und fürchte mich nicht; denn Gott der Herr ist meine Stärke und mein Psalm und ist mein Heil. 3 Ihr werdet mit Freuden Wasser schöpfen aus den Heilsbrunnen. 4 Und ihr werdet sagen zu der Zeit: Danket dem Herrn, rufet an seinen Namen! Machet kund unter den Völkern sein Tun, verkündiget, wie sein Name so hoch ist! 5 Lobsinget dem Herrn, denn er hat sich herrlich bewiesen. Solches sei kund in allen Landen! 6 Jauchze und rühme, du Tochter Zion; denn der Heilige Israels ist groß bei dir!
Luther 84
Ein ganzes Kapitel, wenn auch nur sechs Verse, aber immerhin doch ein ganzes Kapitel, in dem Gott gedankt und gelobt wird. Eigentlich keine große Überraschung, wenn man so etwas in der Bibel findet, nur dass der Anlass für den Dank und das Lob irgendwie merkwürdig klingt.
„Ich danke dir, Herr, dass du bist zornig gewesen über mich und dein Zorn sich gewendet hat und du mich tröstest.“
Mit dem merkwürdigen Klang meine ich jetzt nicht einfach nur den Satzbau dieser Luther-Übersetzung von 1984, sondern den Inhalt des Verses.
Wir fangen mit dem zweiten Teil des Verses an. Man soll sich ja bekanntlich von den leicht verständlichen Bibelstellen zu den Komplizierteren vorarbeiten.
Also, dass man Grund hat dankbar zu sein, wenn einem nicht mehr gezürnt wird, ja man sogar getröstet wird, das leuchtet einem direkt ein. Aber merkwürdig ist doch der erste Teil unseres Verses. Dankbar sein, weil Gott einem zornig war? Wenn Gott einem zornig ist, dann fühlt man bestimmt alles Mögliche. Man fühlt sich schuldig, beschämt, zerknirscht, ist enttäuscht von sich selber oder hat schlichtweg Angst. Wer den Zorn Gottes auf sich weiß, bei dem kommen einige Emotionen hoch, nur ganz sicherlich keine Dankbarkeit – oder etwa doch?
Wir folgen erstmal der Aussage, aber ergänzen noch das Detail, das den Erfahrungen, von denen die Bibel erzählt, so grundlegend ist: Das Leben mit Gott ist eine Beziehung. Und eine Beziehung muss erlebt und Gott weiß, auch erlitten werden. Das gilt für Gott und ebenso für sein Volk.
Gott, wie ihn die Bibel beschreibt, leidet nicht nur mit, sondern auch an seinem Volk. An den Irrwegen die es geht, am Vertrauen, das es Gott schuldig bleibt und daran, dass es mit anderen Göttern, mit Götzen liebäugelt. So erzählt die Bibel immer wieder von dem ehrlichen Ringen um eine ehrliche Beziehung von Gott und seinem Volk durch zahlreiche Enttäuschungen hindurch.
Zur Liebe gehört auch das Leiden
Bei aller Freude und Liebe, die Liebende aneinander und füreinander haben, gehört zu einer lebendigen Beziehung, einer Beziehung, die leidenschaftlich geführt wird, eben auch das Erleiden.
Ganz anders wäre es, wenn es keinem der Partner ernst wäre mit der Beziehung. Schon beim ersten Anzeichen eines Widerstandes würde man dann doch lieber getrennte Wege gehen. Statt leidenschaftlichen Zorns gäbe es kalte Gleichgültigkeit. Oder, und auch das wäre keine ehrliche und leidenschaftliche Beziehung, man könnte Konflikte auch ganz einfach verbieten, und stattdessen strenge Harmonie verordnen. Streit, Konflikte und Zorn wären dann tabu. Das ist bestimmt eine Möglichkeit, wie man Zeit miteinander verbringen kann, aber wohl kaum die Ewigkeit. Weder hat Gott Freude am Streit, noch will er ihn um jeden Preis vermeiden. Gottes Ziel ist es, in einer ehrlichen, liebevollen und leidenschaftlichen Beziehung mit seinem Volk zusammenzuwachsen.
„Ich danke dir, Herr, dass du bist zornig gewesen über mich und dein Zorn sich gewendet hat und du mich tröstest.“
Noch am Zorn Gottes hat Jesaja Gottes Liebe erkannt. Eine Liebe, die die Beziehung zum Volk nicht verloren geben will. An diesem Zorn noch hat der Prophet gesehen, wie barmherzig Gott ist, wie er zur Umkehr ruft und vergibt, um die Beziehung wieder zu heilen. Gottes Liebe wäre ohne seinen Zorn blutleer und leidenschaftslos. Ja, noch schlimmer, ohne seinen Zorn würde er nicht treu zu seinem eigenen Wort sein. Ohne seinen Zorn würde er das Volk nicht lieben, es sich auf den Abwegen so weit verirren lassen, dass es nie wieder den Weg zu ihm zurückfinden würde. Aber Gott ist treu und liebt leidenschaftlich.
Stellvertretend für das Volk hat Jesaja Gott gedankt und ihn dafür gelobt, dass Gott ist der er ist: Der treue Gott, der zu seinem Wort steht:
Sind wir untreu, so bleibt er treu; denn er kann sich selbst nicht verleugnen. (2. Timotheus 2,13)
Amen.