Ein Heiliges Jahr bedeutet Ausnahmezustand in Rom – ein zusätzlicher Papstwechsel macht daraus den Extremfall. 2025 war ein bewegtes Jahr im Vatikan: von dramatischem Sterben bis zu überraschenden Neuanfängen.
Physisch hat Papst Franziskus dem Vatikan den Rücken gekehrt. Seine Ewige Ruhe wollte der gebürtige Argentinier lieber in der römischen Innenstadt verbringen. Acht Monate nach seinem Tod ist der Andrang an seinem Grab in der Basilika Santa Maria Maggiore weiter groß, Vatikan-Polizisten schleusen die Pilgerschar zügig an der schlichten Ruhestätte aus weißem Marmor vorbei. Ein stetes “Nicht stehenbleiben. Bitte weitergehen” begleitet den Totenbesuch.
“Nicht stehenbleiben!” – das gilt auch im Vatikan, den Franziskus mit seinem Tod am 21. April endgültig verlassen hat. Begonnene Projekte, fast abgeschlossene Lehrschreiben, geplante Reisen lagen lange auf Eis, bis sich der neue Papst Leo XIV. nach seiner Wahl am 8. Mai eingearbeitet hatte. Seit einiger Zeit veröffentlicht der Vatikan beinahe täglich Dokumente und Beschlüsse mit der Unterschrift des neuen, aber häufig noch der Handschrift des alten Papstes. Viele Papiere warteten über Monate auf ihre Publikation; manche wurden kaum merklich, andere kräftig umgearbeitet.
Franziskus’ Gesundheitszustand war schon lange angeschlagen, die Eröffnung des Heiligen Jahres an Weihnachten 2024 im Petersdom mühte den 88-Jährigen sichtlich. Ab Januar verschlechterte sich die Situation zusehends. Der Argentinier, der nach der Wahl zum Papst nie in seine Heimat zurückkehrte, wurde schließlich mit schwersten Atemwegserkrankungen in die römische Gemelli-Klinik eingeliefert. 38 Tage lang behandelte ihn dort ein Spezialteam aus Ärzten und Pflegern in mitunter lebensbedrohlichen Lagen.
Täglich versammelten sich Menschen auf dem Petersplatz, um für das kranke Kirchenoberhaupt zu beten. Der Ort war auch Schauplatz des ersten Lebenszeichens von Franziskus nach drei Wochen Krankenhaus: In einer kurzen Audiobotschaft, in der er hörbar um Luft ringt, dankt er mit schwacher Stimme für die Abendgebete vor dem Petersdom. Zwei Wochen sollten noch vergehen, bevor er “zur weiteren Genesung” in den Vatikan zurückkehrte, und weitere vier, bis er an Ostermontag an den Folgen eines Schlaganfalls starb.
Einen legendären Auftritt sparte sich Franziskus bis kurz vor seinem Tod auf: Mit einem weiß-grün gestreiften Poncho aus Lateinamerika bedeckt ließ er sich durch den Petersdom schieben, begrüßte überraschte Besucher und segnete Kinder. Es folgte ein letzter österlicher Segen “Urbi et orbi” mit schwacher Stimme, tags darauf starb er.
Die Teilnahme religiöser wie weltlicher Führer an Franziskus’ Totenfeier war enorm. Und so gelang dem Papst quasi noch aus dem Jenseits ein diplomatisches Kunststück: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und US-Präsident Donald Trump führten ein Gespräch auf Augenhöhe – auf roten Stühlen sitzend im Petersdom. Nach der Beisetzung folgten in Rom weitere Begegnungen wichtiger globaler Akteure.
Unterdessen berieten im Vatikan die Kardinäle über die Nachfolge. Trotz ihrer heterogenen Zusammensetzung fanden sie schnell Konsens. Bereits am Abend des zweiten Konklave-Tages hieß es “Habemus papam”, und der außerhalb des Vatikans wenig bekannte Robert Francis Prevost betrat den berühmten Balkon des Petersdoms. “Der Friede sei mit euch!”, waren seine ersten Worte.
Schlagzeilenträchtig war die Herkunft des neuen Kirchenoberhaupts: Leo XIV. ist der erste Papst aus den USA. Der heute 70-Jährige wuchs in der Nähe von Chicago auf. Lange war in der katholischen Weltkirche ein Oberhaupt aus den Vereinigten Staaten undenkbar.
Doch Leos XIV. Lebenslauf passte ideal auf die Jobbeschreibung eines Papstes: Durch die Führungserfahrung in einem internationalen Orden und in einer Vatikanbehörde bewegt er sich sicher in einem interkulturellen Umfeld. Durch viele Auslandsbesuche und langjährige Auslandsaufenthalte besitzt er weitreichende Kenntnisse über die Weltkirche. Der polyglotte Kirchenmann arbeitete derart lang in Peru, dass er die dortige Staatsangehörigkeit besitzt.
In Auftreten und Symbolik unterscheidet sich Leo XIV. klar von seinem Vorgänger, mit dem er zu Lebzeiten eine enge Verbindung pflegte. Inhaltlich zeigt er sich bislang oft in Kontinuität mit Franziskus; er vollendet Unfertiges und hält sich an den schon lange vor seinem Amtsantritt bestückten Terminkalender. Den füllt in den ersten Monaten seines Pontifikats insbesondere das Heilige Jahr.
Als seltenes katholisches Pilger-Event von Weltrang zieht das Jubeljahr nicht nur Millionen zusätzlicher Besucher nach Rom, sondern vereinnahmt auch das Kirchenoberhaupt mit zahlreichen Sonderveranstaltungen. In deren Rahmen wurden 2025 insgesamt neun Menschen von Leo XIV. heiliggesprochen. Eine Bewährungsprobe für den anfangs noch schüchternen Leo XIV. war das große Weltjugendtreffen in Rom, bei dem er vor Hunderttausenden jungen Menschen auftrat.
Seither und nach seiner ersten Auslandsreise, die ihn in den Nahen Osten führte, scheint sich der Papst in seiner neuen Rolle einzufinden. Am 6. Januar endet das Heilige Jahr in Rom. Für den Folgetag hat Leo XIV. alle Kardinäle der Weltkirche zu Beratungen im Vatikan eingeladen. Spätestens dann hat er Gelegenheit, eigene Akzente zu setzen.