Unmut im Bistum Aachen über die Strukturreform

In Freiburg heißt der Prozess „Kirchenentwicklung 2030“, in Köln „#ZusammenFinden“. Die Bistümer wollen sich neu aufstellen für die Herausforderungen der Zukunft. Eine Gratwanderung, wie das Beispiel Aachen zeigt.

Ändern muss sich etwas – darin sind sich alle Beteiligten einig. Seit Jahren verliert die katholische Kirche in Deutschland stetig Mitglieder. Die Zahl der Priester sinkt. Und die finanziellen Rücklagen haben keine Ewigkeitsgarantie. In vielen Bistümern laufen deswegen Überlegungen, wie sich Seelsorge und kirchliche Strukturen in Zukunft noch aufrechterhalten lassen. Schmerzhafte Einschnitte stehen bevor. Unlängst erst kündigte das Erzbistum Freiburg an, bis Jahresbeginn 2026 aus 1.000 Pfarreien 36 zu machen.

Im Bistum Aachen gibt es ähnliche Pläne. Hier läuft der Prozess zur Strukturreform unter der Überschrift „Heute bei dir“. Heute außer sich sind derzeit allerdings viele engagierte Katholiken im Bistum. Gleich zwei Briefe gingen dieser Tage an den Vatikan. Darin bitten die Verfasser Papst Franziskus, „dem Bischof von Aachen Einhalt zu gebieten und ihn zur pastoralen Vernunft zu bringen“.

Was ist geschehen? Zum Jahreswechsel unterzeichnete Bischof Helmut Dieser ein Dekret, das bis spätestens Januar 2025 die Einrichtung von 44 „Pastoralen Räumen“ vorsieht. Dieser Schritt, so schildert es Dieter Verheyen, kam für Eingeweihte wenig überraschend. Als Mitglied der Initiative „Kirche Bleibt Hier“ war Verheyen an den monatelangen Vorgesprächen beteiligt. „Die Frage, die sich jetzt stellt, lautet: Wie viele Kirchengemeinden bleiben in den Pastoralen Räumen noch übrig?“

Bischof Dieser plant, aus den bislang bestehenden 326 Pfarreien acht Großpfarreien mit bis zu 140.000 Katholiken zu bilden. Daran scheiden sich die Geister. „Was passiert mit den Vermögen der bisherigen Pfarreien?“, will Verheyen wissen. Ganz zu schweigen von den Konsequenzen für die Menschen vor Ort. Vor allem auf dem Land verlören Katholiken den Kontakt zur Kirche. Bereits 2019 hat Verheyen mit anderen Kirchenvorständen „Kirche bleibt hier“ gegründet, um den Prozess „Heute bei dir“ kritisch und konstruktiv zu begleiten, wie er sagt.

Die Initiative stehe inzwischen mit 270 Kirchenvorständen in Kontakt, mit 140 Gemeinden pflege man einen regelmäßigen Austausch. „Wir haben uns Sorgen gemacht und um Antworten gebeten“, sagt Verheyen. Aber das Bistum habe kaum reagiert. Deswegen nun der Brief an Papst Franziskus, seinen Botschafter in Deutschland, Erzbischof Nikola Eterovic, sowie an die für den Klerus zuständige Vatikanbehörde. Man wende sich „in brennender Sorge um das Seelenheil der katholischen Christen im Bistum Aachen“ an die Verantwortungsträger in Rom, heißt es darin.

Ähnliche Töne schlägt ein weiterer Brief an, der an den gleichen Verteiler ging. Den Anstoß zu diesem Schreiben gaben Anita Zucketto-Debour vom Vorstand des Diözesanrats der Katholiken im Bistum Aachen und Wilfried Hammers, Mitglied des Pastoralteams von Sankt Josef in Herzogenrath-Straß. Zu den 35 weiteren Unterzeichnern gehören Priester, pastorale Mitarbeiterinnen, Religionslehrer und Ehrenamtliche. Die Pläne des Bischofs seien „allenfalls dazu angetan, die Wirtschaftlichkeit des Bistums zu stabilisieren“, heißt es in dem Brief. „Reformen im Sinne der Glaubensvermittlung und dessen Weitergabe an zukünftige Generationen sind sie aber gewiss nicht.“

Das Bistum widerspricht und verteidigt die Reform: In den „Pastoralen Räumen“ fänden Menschen viele alte und neue „Orte von Kirche“, die nicht mehr nur an einen Kirchturm gebunden seien. Zu den acht Großpfarreien erklärte das Bistum, diese würden jeweils von Teams geleitet. Für die leitenden Pfarrer wie für die Priester in den „Pastoralen Räumen“ bedeute diese Struktur weniger Verwaltungsaufgaben und somit mehr Freiraum für ihren Dienst als Seelsorger.

Weiter weist das Bistum darauf hin, dass es über das Vorhaben auf allen Ebenen der Diözese eine intensive Auseinandersetzung im Rahmen des 2018 gestarteten „Heute bei dir“-Prozesses gegeben habe. Das von Bischof Dieser erlassene Dekret sei nach der Abstimmung mit regionalen Räten erfolgt. Für die Übernahme der Ergebnisse hätten sich zudem Priesterrat und Diözesanpastoralrat jeweils mit absoluter Mehrheit ausgesprochen. Dieser: „In dieser betont synodalen Ausrichtung meines Bischofsamtes fühle ich mich von Papst Franziskus inspiriert und ermutigt.“

Anita Zucketto-Debour nimmt das anders wahr. „Das war alles mäßig synodal“, sagt sie. Das Klima der bisherigen Beratungen umschreibt sie so: „Wir diskutieren so lange, bis alle ‚im Konsent‘ die Meinung des Bischofs akzeptieren.“ Mit den Briefen wolle man die Notbremse ziehen. Sie hofft, dass der Vatikan in Aachen ähnlich wie in Trier eingreift. Dort musste das Bistum aufgrund von Beschwerden seine Strukturreform nachbessern.

Für Aachen haben Verheyen und seine Unterstützer einen konkreten Vorschlag ausgearbeitet: Eine Reduzierung auf 85 Pfarreien mit maximal 25.000 Mitgliedern, welche wie bisher deckungsgleich mit den staatlich verfassten Kirchengemeinden sein sollten. Deren Bedarf an Priestern ließe sich auch in den nächsten 10 bis 20 Jahren abdecken. Die Geistlichen wiederum würden nicht zu „liturgischen Erfüllungsgehilfen“ ihrer acht Mitbrüder degradiert, die an der Spitze der vom Bistum vorgesehenen Großpfarreien stünden.

Und dann gäbe es da noch einen grundsätzlichen Aspekt, den Verheyen in seinem Brief an den Vatikan so umschreibt: Es sei nicht nachvollziehbar, wieso jedes Bistum seine eigene Strukturreform machen müsse, wenn es bereits Modelle wie das schlussendlich in Trier umgesetzte gebe. „Dies hätte auch den Vorteil, dass deutschlandweit – wie in der Vergangenheit auch – vergleichbare ähnliche Strukturen bestünden und die katholischen Christen insgesamt wieder ein Verständnis des Aufbaus der katholischen Kirche in den jeweiligen Bistümern in Deutschland hätten.“