Im belgischen Sprachenstreit spaltete sich die Uni Löwen

Flamen und Wallonen, Niederländisch und Französisch – diese heute harmlos klingenden Kategorien prägen Belgien. Aber der Sprachenstreit setzte dem Königreich einst massiv zu. Auch der Besuch des Papstes hat damit zu tun.

Wenn Papst Franziskus Ende September einen seiner nur seltenen Europa-Besuche der seit fast genau 600 Jahren bestehenden Traditionsuniversität Löwen widmet, dann wird es einmal mehr um Spaltung gehen. Denn eine Uni Löwen gibt es heute nicht mehr – es sind zwei. Grund ist der belgische Sprachenstreit, der nach dem Zweiten Weltkrieg viele Blüten trieb.

Die Lage war verfahren: Die französischsprachigen Wallonen hatten ihre einstige wirtschaftliche Übermacht durch Kohle und Stahl eingebüßt – die sie die Flamen über die Jahrhunderte durchaus hatten spüren lassen. Nun bekamen die Flamen Oberwasser, die früh auf den sich entwickelnden Dienstleistungssektor setzten. Belgien bildete sich nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem föderalistischen Staat um – und die allseitigen Empfindlichkeiten erfassten auch und vor allem den Bildungssektor.

Die Stadt Löwen (niederländisch Leuven, französisch Louvain), nach der Sprachgrenze von 1963 im niederländischen Landesteil gelegen, war Sitz der Nachfolgerin der 1425 gegründeten alten katholischen Universität und hatte unter einem flämischen Gesamtrektor seit 1932 zwei Sprachabteilungen mit je einem eigenen Pro-Rektor.

Die über Jahrhunderte traditionell französischsprachig geprägte Universität zählte 1960 erstmals eine Mehrzahl niederländischsprachiger Studierender. Die Flamen wünschten sich nun eine flämische Uni – und eine neue, zweite, französischsprachige jenseits der Sprachgrenze.

Auch Belgiens Bischöfe spielten damals durchaus eine Rolle; besonders Kardinal Leo Suenens (1904-1996) von Mechelen-Brüssel. Kämpfte Belgiens Primas Richtung Vatikan überzeugend gegen Klerikalismus und für mehr Mitbestimmung der Ortskirchen und der Laien, so trat er nach innen ausgerechnet in der Sprachenfrage autoritär auf: Mit Schreiben vom Mai 1966 ordneten die Bischöfe den Verbleib beider Sprachgruppen in Löwen an.

Dies kam bei den Flamen äußerst schlecht an – wurde doch ihr Wunsch nach einer örtlich getrennten eigenen Universität mit einem Federstrich weggewischt. Doch in den folgenden, im Kontext der Universitäten zunehmend aggressiven Monaten änderten sich die Realitäten erneut. Nach den Studentenunruhen im “belgischen Mai” 1968 scherten nun die flämischen Bischöfe aus.

Auf ihren Druck hin entschied man im Herbst zugunsten zweier räumlich getrennter Universitäten: der Katholieke Universiteit Leuven und der Universite catholique de Louvain. Das brüskierte nunmehr umgekehrt die Wallonen. Sie fühlten sich aus der seit Jahrhunderten bestehenden historischen Lehrstätte regelrecht ausgewiesen.

Es begann ein Gezerre um Ersatzzahlungen für Gebäude und Einrichtungen. Kein allzu großes Thema war dabei die Bibliothek – waren doch die seit dem Spätmittelalter gewachsenen Altbestände im Ersten Weltkrieg verbrannt; und auch im Zweiten Weltkrieg nahm die neu aufgebaute Bibliothek Schaden.

Das Archiv mit seinen Handschriften war nach der Aufhebung der Universität durch das napoleonische Frankreich 1797 Teil des Staatsarchivs geworden. So blieb es bis heute vollständig und unversehrt – und gehört seit 2013 zum Weltdokumentenerbe der Unesco.

Für die neue französischsprachige Uni wurde ab 1971 gut 30 Kilometer weiter, südlich der Sprachgrenze, eine Planstadt hochgezogen: Louvain-la-Neuve (Neu-Löwen). Belgiens erste Stadt-Neugründung seit Charleroi im Jahr 1666 hat heute etwa 30.000 Einwohner. Die flämische Uni Leuven betreut derzeit nach eigenen Angaben knapp 60.000 Studenten, die französischsprachige rund 40.000. Sie alle wird Papst Franziskus in seinen Reden um Versöhnlichkeit und Geschlossenheit bitten – im Sinne jener Wahrheit der Forschung, der sie sich verschrieben haben.