“Ich musste lernen, mich anzunehmen”

Sie ist „Miss Germany 2023“ und ihr Herz schlägt für Jugendliche und ihre Herausforderungen. Deshalb hat sie in Magdeburg auch die Jugendgemeinde Eastside mitgegründet. Mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) spricht Kira Geiss über Soziale Medien, schädliche Schönheitsvorbilder und übergriffiges Verhalten.

epd: Frau Geiss, Sie sind nicht nur „Miss Germany 2023“, sondern auch gelernte Gestalterin für Visuelles Marketing, Jugendbeauftragte beim Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverband und seit wenigen Tagen Autorin: Sie haben ein Buch mit dem Titel „Bittersüße Realität. Über mein Leben, Social Media und die Glamourwelt“ (Adeo-Verlag, Wetzlar) veröffentlicht. Was hat Sie dazu motiviert?

Kira Geiss: Ich wollte einen Blick hinter die Kulissen geben, in die Bereiche, die ich erlebt habe, bei Social Media, Red Carpets-Events und VIP-Bereiche. Und ich erzähle darin über bittere, aber auch schöne Erlebnisse, von denen ich lange überlegt habe, ob ich sie überhaupt teilen will. Aber ich bin zu dem Entschluss gekommen, dass es mir als junges Mädchen sehr gutgetan hätte, jemanden zu haben, der offen über diese Themen spricht.

epd: Welche Themen sind das denn genau?

Geiss: Ein Anliegen war mir, in meinem Buch anzusprechen, wie Menschen in der Unterhaltungsbranche und in den Medien dargestellt werden. Seit ich 12 Jahre alt bin, bin ich in den Sozialen Netzwerken unterwegs. Dort wird uns oft eine perfekt inszenierte Version von Körpern gezeigt. Und wenn man als Mädchen damit groß wird, ist man nicht mehr in der Lage, zu filtern, was echt ist oder nur eine Illusion.

Man überträgt die Bilder irgendwann auf das eigene Leben und fragt sich: Wieso sieht es bei mir nicht so aus? Warum bin ich nicht so „normschön“? Jetzt, wo ich so ein bisschen ein Teil von dieser Welt geworden bin, musste ich sehen, dass ganz viel von diesem Leben, das ich früher als echtes Leben wahrgenommen hatte, nicht existiert.

epd: Inwiefern?

Da ist die Morgenroutine einer Influencerin, die so nie stattfindet, sondern einfach nur für einen Werbekunden erfunden wurde. Und selbst bei mir wurden Bilder, die von mir aufgenommen wurden, anschließend so bearbeitet, dass ich auf manchen Magazin-Covern so makellos und perfekt aussah, dass ich manchmal selbst erschrocken bin.

epd: In Ihrem Buch schreiben Sie von Alkoholexzessen und dem Wunsch nach Zugehörigkeit, aber auch dem Kampf gegen den eigenen Körper. Sie schildern ehrlich, dass es Phasen gab, in denen Sie Essstörungen hatten – ist das auch eine Folge von falschen Vorbildern, die durch die Unterhaltungsbranche vermittelt wurden?

Kira Geiss: Ja, das spielte auch mit. Es ist echt wichtig zu prüfen, welche Inhalte man konsumiert und welche Vorbilder man – vielleicht auch unterbewusst hat. Sich gesund zu ernähren und Sport zu machen ist total lobenswert, aber sich wegen seines Esskonsums fertig zu machen, oder sich zu zwingen, jede Woche fünfmal Fitness zu machen, um sich krampfhaft in ein Ideal zu pressen, wie ich das gemacht habe, ist einfach ungesund.

Für mich war es ein Prozess, mich anzunehmen, so wie ich bin. Auch wenn es mir mittlerweile richtig gut geht, habe ich Leute, die auf mich achtgeben und die das Recht haben, mich zu kritisieren, wenn ich zu viel Sport mache oder mich übertrieben gesund oder auch ungesund ernähre.

Und was mir sehr geholfen hat, mich selbst anzunehmen, ist mein Glaube, der mir vermittelt: „Hey, ich bin geliebt. Ich bin gewollt, bin wunderschön geschaffen.“ Das habe ich sehr gebraucht, als es mir so schlecht ging mit meinem Körper und ich so gekämpft habe: Den Zuspruch zu bekommen, dass ich genug bin.

epd: In dem Buch ist auch von sexuell übergriffigem Verhalten die Rede, das Sie erlebt haben, in der Teenager-Zeit durch einen Freund, auf der Arbeit, aber auch als Miss Germany auf dem Flur eines Fünf-Sterne-Hotels …

Geiss: Das ist ein total vorbelastetes Thema, das ich auf ganz unterschiedliche Art und Weise erlebt habe und bei dem ich eine Zeit lang auch niemand hatte, der mir zuhört und das ernst nimmt. Übergriffiges Verhalten fängt nicht erst bei einer Vergewaltigung an, die ich zum Glück nie erlebt habe, sondern es beginnt verbal. Dann kommt es zu unangenehmen Berührungen, die man nicht will, wie ein Kuss auf die Backe oder eine Hand, die über den Rücken streicht und immer tiefer rutscht …

Und für mich war das auch ein Moment, an dem ich gemerkt habe, dass diese glamouröse Welt ein bisschen brüchig ist, weil man solche Themen weglächelt und am Ende auf Social Media dann nur schöne Bilder von Events postet. Gleichzeitig ist es mir wichtig, andere Menschen zu ermutigen, zu ihren Geschichten zu stehen und ihnen zu zeigen, dass sie nicht allein damit sind. Und sich niemand das gefallen lassen muss.

epd: Noch einmal zurück zu den Sozialen Medien: Sie sehen den Einfluss auf junge Menschen dort sehr kritisch und haben selbst erlebt, wie durch sie auch teils ungute Körperideale vermittelt werden. Nun sind Sie selbst ein Teil davon – wie passt das zusammen?

Geiss: Ehrlich gesagt habe ich am Anfang, als ich Miss Germany wurde, etwas mit Social Media gekämpft. Ich hatte über Nacht auf einmal Tausende Menschen, die mir folgten, und wenn man dann innerhalb von zwei Monaten plötzlich 75 Millionen Leute erreicht, ist natürlich auch der Druck da, dass man diese Zahl aufrechterhält. Bis ich mir gesagt habe, ich mache Social Media nicht, um Geld damit zu verdienen oder viele Follower zu haben, sondern ich möchte gute Inhalte teilen.

epd: Wie sieht das konkret aus?

Geiss: Ich mache gerne Umfragen: Ich frage, welche Berufe für junge Leute zu empfehlen sind, oder welchen Ratschlag man jungen Menschen geben kann? Ich hoffe, dadurch andere zu inspirieren, über ihr Leben nachzudenken. Außerdem poste ich mich gerne geschminkt, mit Filtern, und ungeschminkt, um auf die Unterschiede aufmerksam zu machen und zu zeigen, dass ich wie jeder andere auch mal müde aussehe oder einen schlechten Tag habe.

epd: Bald ist Ihre zweijährige Zusammenarbeit mit „Miss Germany“ vorbei. Am Ende des Buches schreiben Sie, dass Sie bald schon einen neuen Lebensabschnitt unter dem Motto: „Journalismus ist eine Reise“ beginnen werden: Darf man da schon mehr wissen?

Geiss: Ja, es ist nun offiziell, dass ich ab Februar 2025 eine Ausbildung im Evangelischen Medienhaus in Stuttgart zur Multimedia-Journalistin machen werde. Ich möchte gerne gute Inhalte produzieren und weiter im Medienbereich arbeiten und freue mich schon, dort zu beginnen. (2092/17.09.2024)