„Ich erlebe in unserem Beruf eine hohe Selbstausbeutungsbereitschaft“

Studien zufolge leiden Tierärztinnen und Tierärzte überdurchschnittlich häufig an Depressionen und haben eine erhöhte Suizidneigung. Christiane Bärsch, Präsidentin der Tierärztekammer Niedersachsen, sieht die Ursachen vor allem in der hohen emotionalen Belastung, die der Beruf des Veterinärs mit sich bringt. Zudem seien die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen schlechter als bei den Kollegen der Humanmedizin. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) erläutert die in Laatzen bei Hannover niedergelassene Haustierärztin, warum Tierleid auch nach Jahren unvermindert unter die Haut geht und warum viele Berufskollegen den Wert ihrer Arbeit eher unter- als überschätzen.

epd: Frau Bärsch, verschiedene Studien deuten darauf hin, dass Tierärztinnen und -ärzte überdurchschnittlich oft psychische Probleme und ein erhöhtes Selbsttötungsrisiko haben. Eine 2020 veröffentlichte Online-Befragung der Universität Leipzig etwa erfasste 15 Prozent aller über die Tierärztekammern organisierten Veterinäre, rund ein Drittel von Ihnen zeigte erhöhte Depressivitätswerte und vermehrt Suizidgedanken. Können Sie diesen drastischen Befund nachvollziehen?

Christiane Bärsch: Wir als Tierärztekammer erheben selbst keine Zahlen, kennen aber natürlich die diversen Studien. Zwar wird der Kammer gemeldet, wenn ein Mitglied verstorben ist, aber die Todesursache wird dabei natürlich nicht angegeben. Aber auch ohne das selbst überprüft zu haben, halte ich die Ergebnisse für plausibel. Viele meiner Kollegen und auch ich persönlich kannten Tierärzte, die sich das Leben genommen haben. Gegenüber anderen Berufsgruppen aus meinem Bekanntenkreis scheint da schon eine gewisse Häufung vorzuliegen.

epd: Wenn erhöhte Suizidalität tatsächlich ein berufsspezifisches Phänomen sein kann, was macht den Tierarztberuf so schwer erträglich?

Bärsch: Es ist durchaus ein sehr schöner, erfüllender Beruf! Aber manche Seiten, die er mit sich bringt – etwa das Leid der Tiere und auch das der Halterinnen und Halter – können bisweilen ziemlich dominant werden. Die Entscheidung, den Tierarztberuf zu ergreifen, wird ja oft von dem Wunsch befördert, Tieren zu helfen, ihr Leid zu lindern, und, gerade im Heimtierbereich, ein gutes, gesundes gemeinsames Leben mit ihren Haltern zu unterstützen. Es sind überwiegend sensible, mitfühlende Menschen, die sich für diesen Beruf entscheiden.

Der Arbeitsalltag bringt aber oft Situationen, die das Gegenteil dessen sind, was einst Auslöser des Berufswunsches war. Veterinäre werden etwa vor die drastische Situation gestellt, bei Notfällen wie einem umgekippten Schweinetransporter eine Vielzahl an schwer verletzten Tieren töten zu müssen. Dieses kaum zu bewältigende Leid der Tiere und das bedrückende Gefühl, nicht wirklich geholfen, sondern nur Leid beendet zu haben, nehmen die Kolleginnen und Kollegen natürlich mit nach Hause. Das schütteln Sie nicht einfach ab.

epd: Nun ist ein verunfallter Schweinetransporter ein ziemlicher Extremfall …

Bärsch: Natürlich, aber auch im kleineren Maßstab ereignen sich tagtäglich Situationen, die ausgesprochen nahe gehen. Mitanzusehen, was es mit den Haltern macht, wenn wir ein Haustier erlösen müssen, ist auch nicht eben einfach. Gerade, wenn die Beziehung zu dem Tier für den Menschen eine ganz zentrale, womöglich die wichtigste war. Euthanasie, also das Einschläfern von Tieren, kommt häufig vor, der Eingriff ist technisch gesehen eine Routinesache. Aber emotional wird es dennoch nie zum „Normalfall“. Wir stumpfen nicht ab. Bei manchen Kollegen wächst die psychische Belastung sogar eher mit den Jahren.

epd: Wie auskömmlich ist das Leben als Tierarzt? Bereitet die wirtschaftliche Situation womöglich Sorgen?

Bärsch: Wegen des Geldes wird man ohnehin kein Tierarzt. Aber dank der im November 2022 in Kraft getretenen neuen Gebührenordnung für tierärztliche Leistungen sind zumindest faire Honorare sichergestellt. Das Problem ist nur: Viele Kolleginnen und Kollegen machen immer wieder die Erfahrung, dass Tierhalter Rechnungen nicht bezahlen können oder die Behandlungskosten für zu hoch halten. Außerdem müssen wir anders als Humanmediziner, die in der Regel mit den Krankenkassen abrechnen, den Tierhaltern unsere Honorare persönlich erläutern. Viele Kollegen haben da eine gewisse Hemmschwelle oder sogar Scham, glauben, sie seien nach der neuen Gebührenordnung zu teuer. Ich erlebe in unserem Beruf eine recht hohe Selbstausbeutungsbereitschaft und die Neigung, die eigene Arbeit geringer zu schätzen, als sie ist. Auch das ist ein Faktor, der etwas mit der Psyche und dem eigenen Selbstvertrauen machen kann.

epd: Sehen Sie angesichts dieser doch eher schwierigen Umstände auch Dinge, die sich zum Positiven verändern und den Job leichter machen?

Bärsch: Neben der Gebührenordnung, die unseren Job kalkulierbarer macht, ist es ganz sicher ein sich wandelndes Bewusstsein vieler Tierhalterinnen und Tierhalter. Haustiere werden von ihnen zunehmend als Familienmitglied erlebt, entsprechend wertvoller werden Gesundheitsfürsorge und Behandlung der Tiere empfunden. Andererseits führt das nachvollziehbare Bestreben vieler Tierhalter nach einem gesunden, langen Leben ihrer Begleiter natürlich auch dazu, dass sich gerade die Kleintiermedizin immer weiter ausdifferenziert und anspruchsvoller wird.

In manchem wird sie der Humanmedizin immer ähnlicher. Der Einsatz von CT und MRT selbst für Meerschweinchen ist inzwischen keine Seltenheit mehr, ebenso wie Hüftprothesen für Hunde. Dadurch wächst natürlich auch der Druck auf die Kolleginnen und Kollegen, auf dem Stand der Möglichkeiten zu bleiben. Das allerdings ist natürlich kein Negativstress, der zu Depressionen führt – sondern eher Ausdruck dessen, dass sich vieles weiterentwickelt in unserem Beruf.