„Ich bleibe ja Pastor“

Schon früh tauschte er die Bühne gegen die Kanzel. Statt Schauspieler wurde er Pastor, Propst – und Landesbischof. Jetzt geht Gerhard Ulrich in den Ruhestand.

Landesbischof Ulrich bei einer Theaterpredigt in Schwerin
Landesbischof Ulrich bei einer Theaterpredigt in SchwerinTilman Baier

Schwerin. Wenn Gerhard Ulrich einen Raum betritt, ist ihm die Aufmerksamkeit aller Anwesenden gewiss. Das liegt nicht nur an seinem hohen Amt als Landesbischof der Nordkirche, sondern an der Art seiner Präsenz: Er kommt gut rüber. Er ist offenherzig, strahlend und zugewandt. Auch in größeren Räumen braucht er nicht unbedingt ein Mikrofon – seine Stimme trägt. "Er hat Charisma", bescheinigen ihm die meisten, die ihn kennen. Schon bald wird er fehlen: An seinem 68. Geburtstag, Sonnabend 9. März, feiert Ulrich seinen Abschied im Schweriner Dom, am 31. März geht er offiziell in den Ruhestand. 
37 Jahre lang stand Ulrich "im Dienst der Verkündigung", wie er sagt. Sechs Jahre davon als Landesbischof an der Spitze der Nordkirche, im Nebenamt von 2011 bis 2018 auch als Leitender Bischof der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD). Er war Pastor in Barsbüttel, in Hamburg-Wellingsbüttel, Mentor in der Vikarsausbildung, Direktor des Predigerseminars im schleswig-holsteinischen Preetz und Propst im Kirchenkreis Angeln. 2008 wurde er von der damaligen Nordelbischen Kirche zum Bischof von Schleswig gewählt.

Schönstes Geschenk

Das "schönste Geschenk seines Lebens" sei für ihn die Gründung der Nordkirche zu Pfingsten 2012 gewesen – samt der gemeinsamen Feier in Ratzeburg an langen gedeckten Tischen. Manche Unterschiede zwischen Ost und West sieht Ulrich lieber als Vielfalt und als Reichtum, den es zu bewahren gelte. Dass Kirche als Institution an Bedeutung verliere, teile sie mit anderen Institutionen, deren Bindekraft ebenfalls nachlasse. Umso wichtiger sei es, die christliche Botschaft im direkten Dialog zu transportieren: "Uns ist aufgetragen, das menschliche Antlitz der Gesellschaft aufrecht zu erhalten", sagt der Landesbischof.  
In diesem Sinne müsse Kirche auch immer politisch bleiben, wenn auch nicht parteipolitisch. "Wir dürfen uns nicht in die Sakristei zurückziehen", sagt Ulrich. Zwar lasse sich mit der Bergpredigt allein die Welt nicht regieren: "Aber Herzen, die sich von der Bergpredigt bewegen lassen, regieren die Welt anders." Dies sei umso wichtiger in einer Zeit, in der Menschenhasser, Rassisten und Antisemiten in einem Ausmaß auftreten würden, wie er es sich niemals habe vorstellen können. 
In seiner Abschiedsrede vor der jüngsten Landessynode in Rostock-Warnemünde rief Ulrich seine Kirche dazu auf, auch an fremde, andere Orte zu gehen – "dorthin, wo die Menschen sind". Predigten in Theatern, in Lagerhäusern und Einkaufszentren. Er selbst hatte in den vergangenen Jahren die "Theaterpredigten" etabliert, vor allem in Schwerin, Rostock und Kiel. Dabei habe er "volle Hütten" erlebt und manche sehr persönlichen Gespräche – vor, hinter und auf der Bühne. "Und Sie sind wirklich ein Kirchenmann?", habe ihn einmal ein Schauspieler gefragt. 

Erst einmal eine Auszeit

Vom Theater versteht Ulrich ohnehin eine Menge – denn vor seinem Theologiestudium studierte er drei Jahre Germanistik, Theaterwissenschaft und Schauspielkunst in Hamburg und absolvierte zwei Spielzeiten unter anderem am Hamburger Ernst-Deutsch-Theater. Was er hier an Ausdrucks- und Stilmitteln lernte, habe ihm später auf den Kanzeln und in den vielen kirchlichen Gremien immer sehr geholfen, resümierte er.  
Seinen Ruhestand will Ulrich bewusst angehen. Es sei die Zeit, Bilanz zu ziehen, loszulassen und sich ein Stück weit neu zu erfinden. Schon seit einem halben Jahr befinde er sich auf einem "Letzte-Male-Marathon", sagte er kürzlich auf dem Hamburger "Theaterschiff" vor einer Handvoll Journalisten. Die meisten Gremien und Sitzungen werde er nicht vermissen, die Begegnung mit den Menschen in ihnen aber schon. Vor allem auch die horizontöffnenden Besuche in den Partnerkirchen in Übersee: "Wir hier sind nur eine Provinz der Weltchristenheit."

Rolling Stones als Klingelton

Rund 4.000 Stunden hat Ulrich seit 2012 in seinem Auto verbracht und dabei 400.000 Kilometer zurückgelegt. Jetzt soll es erstmal eine Auszeit geben und eine Kur am Bodensee, um Körper und Seele zur Ruhe kommen zu lassen. Er will viel laufen, also "flott spazierengehen" und Romane lesen, auch in seinem Haus in Kappeln an der Schlei. Die Theaterpredigten will er beibehalten, seine Sendereihe "So gesehen" auf Sat.1 ebenfalls. "Ich bleibe ja ein Pastor – auch im Ruhestand."
Theater, Bühne, Kanzel – und ein Handy-Klingelton mit dem Rolling-Stones-Titel "Get Off of my Cloud": Dieser Landesbischof hat wahrlich viele Menschen immer wieder begeistert, verblüfft und erstaunt. "Gerhard Ulrich ist einer der Großen", schrieb St. Pauli-Pastor Sieghard Wilm jetzt auf Facebook: "Ruhm ist ihm fremd. Der weiß, dass es Applaus gibt und Buh. Was bleibt: Segen im Blick. Auf Augenhöhe mit allen, die suchen und zweifeln und glauben wie er. Danke." (epd)