Humane Papillomviren sind weit verbreitete Erreger. Oft verlaufen Infektionen harmlos – wenn nicht, kann es jedoch zu Krebs kommen. Eine Impfung schützt, insbesondere im Kindesalter. Nur impfen sich viel zu wenige.
Marie denkt nicht gern an ihren Ex-Freund zurück. Ein Arschloch sei er gewesen, sagt die 37-Jährige, die anonym bleiben möchte. Nicht nur, dass er neben ihr noch eine Freundin hatte. Nein, beim Geschlechtsverkehr zog er das Kondom ab, obwohl sie dies ausdrücklich nicht wollte. Marie bemerkte es zu spät. “Ich vermute, dabei habe ich mich infiziert.” Bald steht ihre nächste Kontrolluntersuchung an. “Meistens verdränge ich meine damalige HPV-Infektion und alles, was damit zusammenhing”, sagt sie.
Was Marie verdrängt, liegt einige Jahre zurück: Mehrere HP-Virustypen hatten bei ihr Krebsvorstufen am Gebärmutterhals verursacht. Es folgten zahlreiche unangenehme Behandlungen bei ihrer Gynäkologin, eine Operation im Krankenhaus, engmaschige Kontrollen. “Ich habe mich nach Rücksprache mit den Ärzten noch gegen HPV impfen lassen”, sagt sie. Zwar sei die Impfung eigentlich nur vor dem ersten Geschlechtsverkehr gut wirksam. Doch ihr hätten die Ärzte trotzdem dazu geraten. “Die Impfung schützt vor neun Virustypen und die meisten hatte ich noch nicht.” Ein Trost, wenn auch nur ein kleiner. Und ein teurer. “Die Kasse hat die Impfung in meinem Alter leider nicht mehr bezahlt.”
Bei Kindern und Jugendlichen ist das anders. Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt die HPV-Schutzimpfung für Mädchen und Jungen zwischen 9 und 14 Jahren, spätestens bis 17 Jahre. Die Impfung wird als sehr sicher und sehr effektiv eingestuft. Sie senkt das Erkrankungsrisiko erheblich, Studien zufolge um mehr als 80 Prozent. Selbst die Bildung von Krebsvorstufen soll demnach durch die Impfung verhindert werden. Besonders gut ist der Schutz bei einer Impfung vor dem ersten Geschlechtsverkehr. Vor dem 15. Lebensjahr reichen zwei Impfdosen im Abstand von fünf Monaten, danach sollten es drei binnen eines Jahres sein, ebenfalls mit mehrmonatigem Abstand zwischen den Impfterminen.
Humane Papillomviren, kurz HPV, befallen Haut und Schleimhaut. Bekannt sind etwa 200 Typen, rund 40 davon befallen die Geschlechtsorgane. Die Mehrheit – etwa 80 Prozent aller Menschen, die sexuell aktiv sind – infiziert sich mindestens einmal in ihrem Leben. Meist verläuft die Infektion unbemerkt und heilt ohne weitere Behandlung ab. Bei jedem zehnten Infizierten bleibt sie jedoch dauerhaft und kann langwierige und auch schwere Folgen mit sich bringen. Wie bei Marie.
Einige HPV-Typen führen zur Bildung von Feigwarzen an den Geschlechtsteilen. Andere, sogenannte Hochrisiko-Typen, sind die Hauptursache für Gebärmutterhalskrebs und weitere bösartige Tumoren an Geschlechtsorganen bei Frauen und bei Männern.
Eine umfassende Datenerhebung zu HPV-Infektionen gibt es in Deutschland nicht. Das Zentrum für Krebsregisterdaten am Robert Koch-Institut geht mit Stand 2022 von jährlich etwa 6.250 Frauen und circa 1.600 Männern aus, die in Deutschland an HPV-bedingten Karzinomen erkranken. Darunter fallen etwa Tumoren am Penis, Anus oder Vagina. Bei Frauen ist Gebärmutterhalskrebs am häufigsten: Jedes Jahr sterben hieran etwa 1.600 Patientinnen.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die EU-Kommission haben das Ziel, bis 2030 eine Impfquote von 90 Prozent bei den 15-jährigen Mädchen sowie eine deutlich bessere Impfquote bei den 15-jährigen Jungen zu erreichen. Doch Deutschland hinkt erheblich hinterher. Bei den Mädchen lag 2021 die Quote lediglich bei 54 Prozent, bei den Jungen bei 27 Prozent. Am Robert Koch-Institut läuft daher seit dem vergangenen Jahr und bis 2026 eine sogenannte Interventionsstudie, um die Impfquote zu verbessern. Hier geht es um das Erinnern an die Impfung, aber auch um bessere Arzt-Patienten-Kommunikation.
Burkhard Rodeck ist Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin. Aus seiner Sicht ist die Quote nicht deshalb so niedrig, weil die Impfung von Eltern und Kindern abgelehnt würde. Das Problem sei fehlendes Wissen über die Impfung und ihren positiven Effekt. “Impfaufklärung findet im Wesentlichen während der sogenannten U-Untersuchungen statt. Bis zur U9 vor der Einschulung sehen wir Kinderärzte die Kinder fast alle, danach nimmt das deutlich ab”, sagt Rodeck.
Die J1, die erste Jugendvorsorgeuntersuchung, erreiche nur noch jedes zweite bis dritte Kind. Oft die Kinder aus Familien, die sowieso gut informiert über Impfungen und Vorsorgemedizin sind. “Wir brauchen mehr Aufklärung, von klein an”, fordert Rodeck. Die Ärzteschaft sei daran wesentlich beteiligt. Vor allem in Schulen sollte aber mehr über Gesundheitsthemen informiert werden, etwa im Biologieunterricht und bereits in der Grundschule. “Schon Kinder brauchen eine größere Gesundheitskompetenz.” Sie trügen sie auch positiv in die Familien hinein; das wissen man etwa von gesundem Kita-Essen.
Impfungen direkt in Schulen seien ebenfalls denkbar, bergen aber aus Sicht von Rodeck auch soziale Herausforderungen: Ein Kind, das die Impfung nicht erhält, dürfe deshalb nicht anderweitig benachteiligt werden. Dass Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes in Schulen aufklären, hält er für sinnvoll, aber unrealistisch. “Dazu gibt es viel zu wenig Ärzte.” Der öffentliche Gesundheitsdienst müsse dafür gestärkt werden.
Lisa H. ist Mutter zweier Töchter, Pädagogin – und überzeugt von der Impfung. Zwar müsse man bei Impfungen immer das Für und Wider abwägen, gerade etwa wenn eine Impfung noch nicht lange erprobt sei. Aber grundsätzlich sei eine Impfung doch super. “Wenn es eine gibt, ist das immer eine schöne Sache, eine wichtige”, sagt die 39-Jährige. Ihre Gynäkologin habe sie auf die HPV-Impfung für ihre ältere Tochter angesprochen. “Und dann haben wir das einfach gemacht.”
Es gibt mittlerweile auch zuverlässige Heimtests auf HPV. Damit ließe sich einer Studie zufolge die flächendeckende Früherkennung erheblich verbessern – insbesondere, wenn Hausärzte diese Tests verteilten. Das wäre in der medizinischen Logik der nächste Schritt.
Und wenn Marie noch einmal die Chance hätte, sich vor dem ersten Geschlechtskontakt impfen zu lassen? Sie sagt: “Ich würde es sofort tun.” Stattdessen hofft sie nun alle sechs Monate auf eine erneut unauffällige Kontrolle bei ihrer Gynäkologin.