Hochwasser in Brasilien: “Wir kämpfen hier ums Überleben”

Straßen, die unter Wasser stehen, Autos, die weggespült werden und Menschen auf den Dächern ihrer Häuser: Die Bilder aus Brasiliens südlichstem Bundesstaat Rio Grande do Sul sind erschreckend. Es wird von über 100 Toten berichtet, noch mehr Menschen gelten als verschwunden. Mehr als 1,4 Millionen Menschen sind von den Fluten betroffen.

Vor rund einer Woche begannen die starken Regenfälle in der Region, es kam in Hunderten Gemeinden zu Überschwemmungen und auch zu Erdrutschen. „Die Regenfälle sind ein absolut atypisches Extrem“, sagt Ana Avila, Meteorologin an der Universität von Campinas. Bisher seien noch nie Regenfälle mit dieser Intensität in der Region gemessen worden.

Während des Videotelefonats mit Nina Cardoso aus Porto Alegre, der Hauptstadt von Rio Grande do Sul, sind im Hintergrund die Hubschrauber zu hören. Die Rettungsaktionen dauerten weiter an, sagt die Regionalkoordinatorin von Gerando Falcões, einem Netzwerk zivilgesellschaftlicher Organisationen. Menschen werden von Dächern ihrer Häuser gerettet oder aus kleinen, für die Fluten völlig ungeeigneten Booten. „Wir kämpfen hier ums Überleben“, sagt Cardoso. Die Millionenstadt Porto Alegre ist vom Hochwasser besonders betroffen, weil dort im Lago Guaíba fünf Flüsse zusammenkommen und der Wasserstand so besonders stark anstieg.

Am Mittwochabend setzten wieder starke Regen und Winde ein, Rettungsaktionen mussten teilweise unterbrochen werden. „Aktuell mangelt es vor allem an Trinkwasser“, erzählt Cardoso. Mehr als eine halbe Million Haushalte sind von der Wasserversorgung abgeschnitten, auch die Versorgung in Supermärkten wird knapp, sagt Cardoso. Außerdem sei es eine große Herausforderung, die Menschen, die ihre Häuser verlassen mussten, unterzubringen. Mindestens 150.000 Menschen seien aktuell in Notunterkünften. Brasiliens Regierung hat Soforthilfen in Milliardenhöhe bereitgestellt, aber die Hilfen erreichen die Betroffenen nur langsam – auch weil Transportrouten unterbrochen sind.

„Die Menschen hier in der Region waren auf eine solche Katastrophe überhaupt nicht vorbereitet“, sagt Cardoso. Der Süden von Brasilien ist wohlhabender als der Rest des Landes, die Infrastruktur etwas besser. Große Naturkatastrophen ereilten in der Vergangenheit eher andere Teile des Landes. Überschwemmungen wie diese könnten allerdings in Zukunft normal sein, fürchtet Cardoso.

Die Wissenschaftlerin Avila bestätigt diese Befürchtung: „Die Regenfälle hängen mit dem Klimawandel zusammen“, sagt sie. „Ein Faktor, der zu ihrer Entstehung führte, war sehr viel Wasser aus den sogenannten fliegenden Flüssen.“ Gemeint sind Luftströme, die große Wassermassen vom Atlantik über den Amazonasregenwald in Richtung südliches Südamerika transportieren und dort für Regen sorgen. Durch den erwärmten Atlantik sei mehr Wasser verdunstet und über diese Luftströmungen transportiert worden, erklärt die Meteorologin. Neben dem Klimawandel gibt es auch eine Verbindung zu El Niño. Das Wetterphänomen, das unter anderem für die Erwärmung des Pazifiks verantwortlich ist, habe auch in der Vergangenheit schon zu verstärktem Regen in der Region geführt.

„Brasilien ist nicht auf die Konsequenzen des Klimawandels vorbereitet“, sagt Avila. Prognosen, etwa des Weltklimarates IPCC, warnen schon länger davor, dass es im Süden des Landes, in Teilen von Argentinien und Uruguay zu deutlich mehr Regenfällen kommen wird, während in nördlicheren Teilen des Landes Dürren häufiger werden. „Allerdings treten diese Ereignisse nun 20 oder 30 Jahre früher ein, als wir erwartet hatten“, sagt Avila. Investitionen in Klimaanpassung seien darum dringend nötig, aber nicht einfach umzusetzen.

Für die nächsten Tage wird kaum Verbesserung für die Region erwartet: Auch am Wochenende soll es in der Region regnen, die Wasserstände der Flüsse gehen vermutlich erstmal nur wenig zurück. Wissenschaftlerin Avila befürchtet, dass in den kommenden Tagen noch weitere Städte und Gemeinden von den Hochwassern erreicht werden könnten.