Historischer Schatz in der Lübecker St. Jakobikirche gehoben

In kleinen Schränken der Stuhlreihen von St. Jakobi in Lübeck haben Experten einen wichtigen Fund gemacht: Einblattdrucke. Entdeckt haben die Wissenschaftler sie auf ungewöhnliche Weise.

Papierrestauratorin Viola Meradi arbeitet an einem Einblattdruck
Papierrestauratorin Viola Meradi arbeitet an einem EinblattdruckNadine Heggen

Lübeck. Für Kulturhistoriker ist es ein Sensationsfund: In den Rückenlehnen des Kastengestühls der Lübecker St. Jakobikirche haben Restauratoren mehr als 60 gut erhaltene Einblattdrucke aus dem frühen 17. Jahrhundert gefunden. Die religiös geprägten Drucke sind Unikate und in Lübeck gefertigt, erklärte Michael Schilling, Germanistik-Professor an der Universität Magdeburg und Experte für Einblattdrucke, in Lübeck. "Sie deuten darauf hin, dass Lübeck damals für die Bild-Publizistik ein wichtiger Standort in Norddeutschland war. Das war bislang nicht bekannt."
Bereits 2016 hatte die Kirchengemeinde dank einer Spende die Restaurierung des Kastengestühls in Auftrag gegeben. Es stammt größtenteils aus dem frühen 17. Jahrhundert. In etlichen Bankreihen sind in den Rücklehnen kleine Schränke eingebaut, die die Gottesdienstbesucher damals mieten konnten, um ihre Gesangsbücher einzuschließen. Mit den Einblattdrucken, die es damals in großer Auflage und für wenig Geld zu kaufen gab, wurden die Schränke verziert. Im Jahr 1860 wurden die Schränkchen verschlossen und einheitlich übermalt. 

Ein Endoskop half

Während der viermonatigen Restaurationszeit gelang es der Holzrestauratorin Stephanie Schipper, ein Schränkchen vorsichtig zu öffnen. Eins der farbenfrohen Einblattdrucke kam zum Vorschein. "Wir standen nun vor der Frage, ob wir auch die anderen Schränkchen öffnen sollten. Schließlich bestand das Risiko, die Schränke zu beschädigen", sagte Pastor Lutz Jedeck. 
Eine befreundete Ärztin des Pastors hatte die rettende Idee: Mit einem Endoskop konnten die Experten über die Schlüssellöcher vorsichtig in die Schränkchen eindringen. Mit Hilfe einer Kamera, die während dieser Untersuchung hinter den verschlossenen Türen filmte, konnten 32 Schränkchen im Kastengestühl identifiziert werden, hinter denen kulturhistorische Schätze schlummerten.  
Die Restauratorinnen haben die Schränkchen inzwischen alle geöffnet und die Bilder gereinigt. Einige sind vollständig erhalten, von anderen sind nur noch Fragmente übrig. Ihnen haben Insektenfraß, Rost und Staub über die Jahre zugesetzt. 

Verschlossen bis September

Das schmälert die Bedeutung des kulturhistorischen Fundes jedoch in keinster Weise, sagt Schilling. Ihm zufolge gehört die beträchtliche Sammlung zu den ältesten überlieferten Schrankbildern überhaupt und ist damit in vielerlei Hinsicht ein besonderer Schatz. "Ohne die Blätter hätte man so gut wie keine Kenntnisse von dem Briefmalergewerbe in Lübeck", so Schilling. Und dass einige Bilder auch katholische Einflüsse wie etwa die Marien-Verehrung zeigen, lässt auf ein entspanntes Verhältnis zwischen den Konfessionen im 17. Jahrhundert schließen.
Um die Farben der Einblattdrucke zu erhalten, wurden die Türchen wieder sorgfältig verschlossen. Am 9. September, dem "Tag des offenen Denkmals", haben Interessierte aber die Chance, einen Teil zu besichtigen. Zehn Türchen sollen dann zumindest geöffnet werden. Bis dahin soll es auch einen Katalog zu dem historischen Fund von St. Jakobi geben. (epd)