Historiker Trentmann: Erinnerungspolitik ist kein Wettstreit

Nichts ist vergleichbar mit dem Holocaust! Oder doch? Ein Historiker will eine flexiblere Erinnerungskultur. Aber ein Wettkampf dürfe dabei nicht entstehen.

 Der Historiker Frank Trentmann plädiert für eine flexiblere Erinnerungspolitik. “Erinnerung kann erweitert werden, und wenn das sorgsam gemacht wird, ist es sehr gut, wenn die deutschen Kolonialverbrechen Teil der Erinnerungspolitik werden”, sagte der in London und Helsinki lehrende Wissenschaftler der “Süddeutschen Zeitung” (Donnerstag). “Dieser Zugewinn muss nicht mit einer Relativierung des Holocaust einhergehen.”

Problematisch werde es, wenn bei dem Thema “eine Art Wettstreit beginnt nach dem Motto: Wenn man eine Sache erinnert, vergisst man automatisch die andere”, sagte Trentmann. Das sei Unfug. “Unsere kollektive Erinnerung hat nicht eine beschränkte Anzahl von Zuhörerplätzen.”

Der Historiker plädierte zugleich für mehr Dialog, insbesondere zwischen alteingesessenen Deutschen und Migranten. Bei Gedenkstättenbesuchen von Schulklassen komme es häufig “zu paternalistischen Konstellationen”, sagte Trentmann. Da erklärten Deutsche, “wie man sich richtig an den Vernichtungskrieg und den Holocaust erinnert”. Dies werde aber zu Menschen gesagt, die zum Teil selbst Flucht und Rassismus erfahren hätten.

“Ihnen wird es schwer gemacht, sich dazu zu äußern, weil sofort der Vorwurf kommt: Halt, stopp, stellt euch nicht auf eine Stufe mit den ermordeten Juden”, sagte Trentmann. “Da muss die Erinnerungspolitik flexibler werden und sich stärker mit aktuellen Krisen, Kriegen und Fluchtbewegungen auseinandersetzen.”