Historiker: Judenhass auch jenseits des rechten Spektrums sehen

Der Historiker Michael Wolffsohn warnt, den Antisemitismus jenseits des rechtsextremen Spektrums zu übersehen. Auch die „extremistische Linke einschließlich ihrer linksliberalen, kulturbürgerlichen Legitimatoren“ sowie islamische Fundamentalisten gefährdeten Jüdinnen und Juden, schreibt Wolffsohn in seinem neuen Buch. Die Gefahr erstrecke sich insgesamt auf „alle aufgeklärten Bürger Europas“. Alle drei Gruppen wollten offene Gesellschaften zerstören.

Der Staat und nicht seine Bürger seien in der Pflicht, die Sicherheit aller Menschen zu gewährleisten. Wolffsohn schreibt von einer „staatlichen Bringschuld“ und notiert: „Zweifel an der Schutzwilligkeit des deutschen Staates bestehen nicht, wohl aber an seiner Schutzfähigkeit.“ Dies sei nicht nur ein deutsches, sondern ein westeuropäisches Problem.

Im Umgang miteinander dringt der Historiker auf eine „funktionale Toleranz“ im Sinne von „Leben und leben lassen“, auch wenn einem der Lebensstil anderer Menschen nicht behage. Eine solche Toleranz sei nicht perfekt, aber vor allem nicht tödlich. Im Vorgehen gegen Judenhass reiche formale Bildung nicht aus – es brauche darüber hinaus „Herzensbildung“. Wolffsohn plädiert zudem für differenzierte Betrachtungen. Parlamente könnten zudem Gesetzeslücken schließen, bestehende Gesetze müssten von der Polizei durchgesetzt und Rechtsverstöße juristisch geahndet werden.

Das neue Buch trägt den Titel „Nie wieder? Schon wieder! Alter und neuer Antisemitismus“. Es erscheint im Herder Verlag am Samstag, an dem der Opfer des Nationalsozialismus gedacht wird. Enthalten sind zwei Reden für eine Gedenkveranstaltung zu den Novemberpogromen von 1938: Die zweite hielt Wolffsohn anstelle der ersten, weil er sie nach dem Massaker der Hamas in Israel am 7. Oktober vergangenen Jahres umgeschrieben hatte. Er spricht von einem „sowohl zornigen als auch kühl nachdenklichen kleinen Buch“, von „Empörung plus Analyse“.