Angst ist für den Historiker José Brunner ein entscheidender Faktor für das Handeln Israels. Er vermisst eine angemessene Sprache in der oft scharf geführten Debatte – und macht einen Vorschlag, wie es gehen könnte.
In der Debatte über den Gazakrieg wird nach Worten des israelisch-schweizerischen Historikers José Brunner von außen häufig eine existenzielle Angst in Israel übersehen. “Es gibt heute in Israel eine existenzielle Angst, die außerhalb Israels und auch von den Palästinensern nur selten richtig gesehen wird, ja”, sagte Brunner der “Süddeutschen Zeitung” (Freitag). “Ich glaube, hinter der teils grandiosen Angeberei Israels und der unendlichen Grausamkeit im Gazastreifen steckt diese tiefe Angst und zugleich eine unendliche Wut auf die, die diese Angst wieder aufleben lassen haben.”
Daher habe der 7. Oktober 2023 schwere Folgen für die israelische Psyche gehabt, “wenn man denn von einer kollektiven Psyche sprechen kann”, erklärte Brunner. “Der Hamas-Überfall zielte auf diese psychologische Wirkung ab.”
Am 7. Oktober 2023 griffen Terroristen der islamistischen Hamas israelische Orte und Armeestützpunkte entlang der Grenze zum Gazastreifen an. Dabei wurden etwa 1.200 Menschen getötet und rund 250 Geiseln verschleppt. Etliche kamen inzwischen frei; viele wurden getötet. Die palästinensische Seite beklagt indes Zehntausende Todesopfer im Gazakrieg als Folge des Angriffs vom 7. Oktober.
Brunner plädierte in der oft scharf geführten Debatte rund um den Gazakrieg für eine “Sprache der Kritik”, die weder proisraelisch noch propalästinensisch sei, sondern die Situation sehr nüchtern beschreibe. “Das heißt, dass man weder ‘From the river to the sea’ schreit und sich damit per se gegen Israel stellt, noch dass man jede Kritik an Israel als antisemitisch abstempelt und sich damit distanzlos an die Seite der Regierung Israels stellt.”