Hilfe an Gleis 1

Es ist früh am Montagmorgen, als die Polizei eine nackte Frau aus Venezuela bei der Frankfurter Bahnhofsmission abliefert. „Wir haben sie erst einmal eingekleidet“, erzählt Leif Murawski, Mitarbeiter in der Frankfurter Bahnhofsmission. Der Sozialhelfer geht davon aus, dass die Frau psychische Probleme hatte. Genaueres konnte er nicht herausfinden, denn im Anschluss sei sie ziemlich schnell wieder fortgezogen. „Gern hätten wir ihr weiter geholfen, aber wir können hier niemanden festhalten“, sagt er.

Seit mittlerweile 33 Jahren kümmert sich Leif Murawski am Frankfurter Hauptbahnhof an Gleis 1 um Reisende und Menschen, die sich in einer Notlage befinden. Bereits seine Großmutter habe in der Bahnhofsmission gearbeitet, erzählt der 53-Jährige. „Ich bin mit den Geschichten aufgewachsen, die sie rund um den Hauptbahnhof erlebt hat“, sagt er. Murawski erinnert sich etwa an einen Mann aus Indonesien, der mit seiner Familie nach Frankfurt kam. „Die Familie hatte einen kleinen Zoo bei sich, darunter Affen und Papageien, die vermutlich im Tierheim gelandet sind.“

Solche Geschichten haben ihn als Kind beeindruckt. Nach seinem Zivildienst in der Bahnhofsmission arbeitete er dort viele Jahre ehrenamtlich weiter. Heute ist er einer von neun hauptamtlichen Mitarbeitenden, rund 30 ehrenamtliche Helferinnen und Helfer gehören ebenfalls zum Team.

An diesem Vormittag halten sich gut 20 Personen in den Räumen der sozialen Einrichtung auf, die von der Diakonie und der Caritas gemeinsam betrieben wird. Manchen organisiert Murawski eine Zugfahrkarte, manchmal müssen Wunden versorgt werden. Eine Person braucht in ihrem Gürtel ein zusätzliches Loch, „dann werde ich zum Sattlermeister“, kommentiert Murawski. Auch beim Ausfüllen von Formularen, etwa für die Ausländerbehörde, hilft er. Wieder andere kommen, um sich in den Räumen aufzuwärmen und einen Kaffee zu trinken oder suchen ein Gespräch. Auch eine kostenlose Dusche steht in der Bahnhofsmission zur Verfügung. Bis zu 500 Menschen pro Tag suchen bei den Mitarbeitenden Hilfe.

Vor Ort ist auch Kurt, der aus der ehemaligen DDR stammt und in Frankfurt lange Zeit in der Gastronomie und als Florist gearbeitet hat. Irgendwann ist er auf der Straße gelandet und hat aktuell keinen festen Wohnsitz. Die Bahnhofsmission besucht er regelmäßig. „Wenn Leif mich sieht, kommt er sofort und fragt, was ich brauche“, erzählt er. Er ist an diesem Tag gekommen, um seinen Betreuer zu kontaktieren. Übers Wochenende habe er kein Geld gehabt und daher Pfandflaschen gesammelt. Nach mehreren Versuchen gelingt es Murawski, den Betreuer telefonisch zu erreichen. Die Dankbarkeit für diese Hilfe ist Kurt anzumerken. „Der Bub ist spitze“, freut er sich.

Um den Menschen noch besser helfen zu können, hat Leif Murawski in seinem Beruf als Sozialhelfer auch eine Ausbildung zum „Mutmacher“ absolviert, eine bundesweite Initiative der „Deutsche Bahn Stiftung“. Der Schriftzug ist auf seiner blauen Bahnhofsmissionsweste gut lesbar. „Das Besondere an dieser Zertifizierung ist die Kombination aus Seelsorge und Sozialberatung“, sagt Murawski. Gerade der seelsorgerliche Aspekt, für die Menschen da zu sein, sei für ihn von Bedeutung. „Oft geht es darum, jemandem zu helfen, seine problematische Situation besser auszuhalten und sich nicht alleine zu fühlen“, sagt er.

Die Grenzen seiner Hilfe, die er leisten kann, sind Murawski bewusst. Denn die Bahnhofsmission könne oft nur situativ helfen und nur selten eine Lebenssituation von Grund auf ändern. Wichtig sei ihm daher das „Empowerment“, also Menschen in die Lage zu versetzen, sich kräftiger zu fühlen und die eigenen Ressourcen zu aktivieren.

„Diese Ressourcen hat selbst der unglücklichste und zerschlagenste Gast“, sagt er. Als Beispiele nennt er etwa Humor und Selbstironie. „Wenn es mir gelingt, dass jemand, der verzweifelt ist, mit mir zusammen wieder lacht, dann ist das schon ein Erfolg.“