Hier wird die Predigt zum Tanz

Einen Gottesdienst als Tanz gibt’s am Sonntag in Kiel. Wer mitmacht, soll sich mit der Johannespassion auseinandersetzen – und Trauer oder Hoffnung in Bewegung ausdrücken.

Bei Bibliotanz werden die Bewegungen nicht vorgegeben, sondern nur in groben Zügen abgesprochen
Bei Bibliotanz werden die Bewegungen nicht vorgegeben, sondern nur in groben Zügen abgesprochenAstrid Thiele-Petersen

Kiel. Kann man Trauer tanzen? Eine Geste für Schmerz finden? Das werden die Teilnehmer bei Astrid Thiele-Petersen herausfinden. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „eure Trauer soll zur Freude werden – todesmutig­“ der Nordkirche veranstaltet sie am Samstag, 12. März, in Kiel einen Bibliotanz-Workshop zur Passionsgeschichte. Die Ergebnisse werden am Sonntagabend im Gottesdienst der St.-Nikolai-Kirche vorgestellt. Es geht um Abschied, Schmerz und Hoffnung.

Astrid Thiele-Petersen ist Theologin und Theaterpädagogin. Sie hat zuerst mit Bibliodrama gearbeitet, dem Darstellen von biblischen Szenen. In den 1990er-Jahren begann sie, ihre Tanzerfahrungen einzubringen. So entstand Bibliotanz. Die Teilnehmer beschäftigen sich mit einem Bibeltext und entwickeln Bewegungen dazu.

Ein Weg der Exegese

„Das kann ein Ausdruck von Spiritualität und Glaubenserfahrung sein, aber ich verstehe es auch als einen Weg von Exegese, von Auslegung“, sagt Thiele-Petersen. Indem man ein Wort wie „Klagen“ nicht nur liest und darüber nachdenkt, sondern mit seinem ganzen Körper ausdrückt, erfasst man den Bibeltext anders. „Es geht tiefer“, sagt sie.

„Man muss sich darauf einlassen“

In Kiel werden sich die Teilnehmer mit der Johannespassion auseinandersetzen. Mit der Passionsgeschichte hat Thiele-Petersen schon häufig gearbeitet, hat etwa Bewegungen zu Finsternis und Licht, Tief und Hoch oder Enge und Weite finden lassen. Trotzdem weiß sie nicht, was sie in der St.-Nikolai-Kirche erwartet. Sie vermittelt den Teilnehmern vorher einiges Wissen, aber wie sie sich dann ausdrücken, liegt ganz bei ihnen. „Ich gebe nie eine Bewegung vor“, sagt sie. Auch der Auftritt im Gottesdienst wird zwar in groben Zügen abgesprochen, aber immer noch improvisiert sein. So unterscheidet sich Bibliotanz vom meditativen Kreistanz, bei dem alle dieselben vorgegebenen Abfolgen ausführen­.

Zu der „freien tänzerischen Improvisation“ gehört auch, dass sich die Teilnehmer Gedanken über den Text machen. „Man muss sich darauf einlassen, dass es einen auch innerlich bewegt“, sagt Thiele-Petersen. Wenn man überlegt, wie man etwas ausdrücken kann, schöpfe man aus eigenen Erfahrungen. Aber: „Jeder bringt nur das ein, was er möchte“, sagt sie. Wenn es um Abschied geht, bitte sie nicht darum, von eigenen Abschieden zu erzählen.

Offen für Kinder und Senioren

Ihre Erfahrung zeigt, dass sich vor allem Frauen zwischen 40 und 60 Jahren für den Bibliotanz anmelden. Das entspricht allerdings der Nachfrage an vielen kirchlichen Angeboten und hat nichts mit dem Format zu tun, denn das ist grundsätzlich offen für alle. Kinder können ebenso tanzen wie Senioren. „Man muss keine Tanz­erfahrung mitbringen. Die Freude an freier Bewegung genügt“, sagt Thiele-Petersen. Der Workshop in Kiel richtet sich allerdings an Erwachsene, die auch bereit sind, ihren Tanz im Gottesdienst zu zeigen.

Untermalt werden die getanzten Szenen im Gottesdienst mit Musik aus Johann Sebastian Bachs Kantate „Sehet, wir gehn hinauf gen Jerusalem“. Eine reguläre Predigt wird es nicht geben. „Der Tanz ist die Predigt“, so Thiele-Petersen. Sie schreibt aus den Impulsen der Workshop-Teilnehmer eine Textmediation, die dann als „Sehhilfe für die Gemeinde“ vorgelesen wird. Den liturgischen Rahmen gestaltet sie mit Pastorin Maren Schmidt von St. Nikolai.

Info
Der Workshop findet am Samstag, 12. März, statt. Der Gottesdienst mit Tanz wird am Sonntag, 13. März, um 19 Uhr St. Nikolai am Alten Markt in Kiel gefeiert. Kurzentschlossene können sich E-Mail an kontakt@astrid-thiele-petersen.de anmelden.