„Herr Domkapellmeister“ findet seine letzte Ruhe

In die Weltöffentlichkeit gelangte der ehemalige Leiter der Regensburger Domspatzen durch seinen Bruder: Papst Benedikt XVI.. Dieser gab ihm vor wenigen Tagen in Regensburg ein letztes Geleit.

Georg Ratzinger im Mai 2014
Georg Ratzinger im Mai 2014Stefan Hanke

Regensburg. Georg Ratzinger war mehr als nur der Papstbruder: Er machte die Regensburger Domspatzen zu dem, was sie heute sind: ein Knabenchor auf Weltniveau. Nun ist der ehemalige Leiter der Domspatzen im Alter von 96 Jahren in seinem Wohnhaus in Regensburg gestorben.

1964 trat Georg Ratzinger das Amt als Domkapellmeister an. Unter seiner Ägide entfalteten die traditionsreichen Sänger im Lauf der Wirtschaftswunderjahre eine nie dagewesene Reisetätigkeit und Medienpräsenz. Bereits ein Jahr später war der Chor auf seiner ersten Auslandstournee nach Rom unterwegs, inklusive einer Privataudienz bei Papst Paul VI.. Es folgten Tourneen in die USA, Kanada, Skandinavien, Japan, Irland, Polen, Ungarn und immer wieder in den Vatikan.

Auf Tournee im Ausland

Ratzingers Domspatzen traten in Fernsehshows auf und sangen beim Staatsbesuch der britischen Königin (1978), wirkten beim Papstbesuch Johannes Paul II. (1980) in der Münchner Residenz mit oder gingen auf Tournee nach Irland – in Begleitung des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker (1992).

Der emeritierte Papst Benedikt XVI. besucht seinen kranken Bruder in Regensburg
Der emeritierte Papst Benedikt XVI. besucht seinen kranken Bruder in RegensburgPaul Mazurek

Ratzinger wurde mit Medaillen, Ehrentiteln und Verdienstorden überhäuft. Auf keinen Titel legte er so viel Wert wie auf den des Domkapellmeisters. Am liebsten werde er mit „Herr Domkapellmeister“ angesprochen, sagte er einmal. 1994 verabschiedete sich Ratzinger im Alter von 70 Jahren von den Domspatzen, er hatte sie 30 Jahre lang geleitet.

Ihren Ruhestand wollten die Ratzinger-Brüder zusammen in Regensburg verbringen. Im Stadtteil Pentling steht Joseph Ratzingers ehemaliges Wohnhaus. Doch der 19. April 2005 machte diesen Traum zunichte. An jenem Tag wurde Joseph Ratzinger zum Papst gewählt. Darüber zeigte sich der ältere Bruder zunächst wenig erfreut. Er habe gehofft, dass dieser Kelch an ihm vorüberginge, sagte der Papstbruder damals. Doch bald fand er sich mit der Wahl ab und reiste immer wieder gern in den Vatikan, um den Bruder zu besuchen.

In einfachen Verhältnissen aufgewachsen

Georg und Joseph Ratzinger waren zeitlebens eng verbunden. Sie wuchsen in einfachen Verhältnissen auf, Vater Joseph war Gendarm, Mutter Maria war Köchin. Beide Söhne besuchten dasselbe Studienseminar, studierten Theologie und wurden 1951 gemeinsam zu Priestern geweiht. Joseph Ratzinger machte in der Kirche Karriere, wurde Theologieprofessor, Erzbischof von München und Freising, Vorsitzender der Glaubenskongregation im Vatikan und im April 2005 schließlich Papst. Georg Ratzinger blieb bis zu seinem Tod in Regensburg.

Am 15. Januar 1924 wurde Georg Ratzinger in Pleiskirchen bei Altötting geboren. Seine musikalische Hochbegabung zeigte sich früh. Sein drei Jahre jüngerer Bruder Joseph, der spätere Papst Benedikt XVI., schrieb in seinem Buch „Aus meinem Leben“, dass die Musik das „besondere Charisma“ seines Bruders sei. Mit elf Jahren spielte dieser bereits die Orgel in der Kirche. Mit zwölf begann er zu komponieren.

Es muss wie eine Initialzündung gewirkt haben, als er mit 17 Jahren zusammen mit seinem Bruder zum ersten Mal die Salzburger Festspiele besuchte und die Domspatzen live erlebte. Das Ereignis ließ ihn nicht mehr los.

Plötzlicher Schatten

Nach dem Zweiten Weltkrieg trat er 1946 ins Priesterseminar der Erzdiözese München und Freising ein und begann bald darauf das Studium der Kirchenmusik an der Musikhochschule in München.

So sehr das Licht auf Georg Ratzinger auch strahlte, im Sommer 2017 stand er plötzlich im Schatten: Die katholische Kirche veröffentlichte ihren Bericht zu den Misshandlungsfällen bei den Domspatzen. Dabei stellte sich heraus, dass Ratzinger Teil des Gewaltsystems bei den Domspatzen war. Um „seine Vorstellungen von musikalischer Qualität durchzusetzen“, habe er auch nach 1980 „körperliche Gewalt zumindest in Einzelfällen“ angewendet, hieß es im Bericht. Später entschuldigte sich Ratzinger dafür, selbst Jungen geohrfeigt zu haben.

Ein letzter Besuch

Sein Wohnhaus in der Luzengasse verließ Ratzinger nur noch selten. Er saß im Rollstuhl, sah nur noch sehr schlecht. Sein engster Vertrauter war sein Bruder, mit dem er regelmäßig telefonierte. Mitte Juni, als es Georg schon schlechter ging, reiste sein Bruder Joseph für einen letzten Besuch nach Regensburg. In aller Stille verabschiedeten sich die beiden Brüder voneinander, deren Leben menschlich eng verwoben war und räumlich doch getrennt verlief.

Seine letzte Ruhestätte wollte Georg Ratzinger am Unteren Friedhof in Regensburg finden, in der Grabstätte seines Vorgängers, des früheren Domkapellmeisters Theobald Schrems, sagte er einmal. Wie die ewige Heimat dereinst aussieht, davon wolle er sich überraschen lassen: „Sie wird hoffentlich schöner, als wir es uns vorstellen können.“ (epd)