Hier haben Landschildkröten aus vier Kontinenten eine Heimat

Ihre Auffangstation für Landschildkröten ist eine Lebensaufgabe für die Stuttgarterin Christin Kern. Die artgerechte Haltung und Ernährung der urzeitartigen Tiere ist aufwendig.

Christin Kern hat eine Auffangstation für Landschildkröten in Stuttgart
Christin Kern hat eine Auffangstation für Landschildkröten in Stuttgartepd-Bild / Peter Dietrich

Christin Kern ist als Kind mit vielen Tieren aufgewachsen. Ihre erste Landschildkröte besaß sie mit drei Jahren, ihre zweite bekam sie mit fünf: „Sie war so groß wie eine Streichholzschachtel und hat damals fünf Mark gekostet.“ Wenn sie erzählt, wie falsch Schildkröten lange gehalten und ernährt wurden, dass es das auch heute noch gibt, ist ihr Entsetzen über das stille Leiden dieser Tiere unüberhörbar. „Die Schildkröte gibt keine für Menschen hörbare Schmerzlaute von sich“, sagt Kern. „Sie spielt im Tierschutz eine Sonderrolle.“

Auch als Erwachsene hielt sie einige Schildkröten. Doch wie wurde daraus eine derart professionelle Auffangstation, mit Gehegen vor und hinter dem Haus und auch noch auf dem Nachbargrundstück? „Das frage ich mich heute noch“, sagt Kern und lacht. Als sie einen zweiten Hund wollte, kam das Stuttgarter Tierheim zur Begutachtung des neuen Heimes, sah die Schildkröten und fragte an: Ob sie vielleicht das eine oder andere zusätzliche Tier bringen könnten? Das war der Anfang, nun besteht die Station seit 16 Jahren, Kern ist Träger des Tierschutzpreises Baden-Württemberg (2015) und der Silbernen Ehrennadel des Landes (2022).

Mit amtsärztlicher Genehmigung und Sachkundenachweis

Kern gibt neun Landschildkrötenarten von vier Kontinenten Heimat – in Australien gibt es schließlich keine Landschildkröten. Zweimal im Jahr kommt der Tierarzt, ein Reptilienfacharzt mit vierjähriger Zusatzausbildung, aus Ulm. Neue Tiere kommen zuerst in eine monatelange Quarantäne, damit sie keine Krankheiten einschleppen. Die Gehege sind abwechslungsreich, bieten Unterschlupf und viele Versteckmöglichkeiten. Weil die wechselwarmen Tiere viel Licht und Wärme brauchen, gibt es für sie UV-durchlässige Frühbeete. Teils schützen Netze gegen Fressfeinde wie Eichelhäher, Bussard und Elster. Teils sind die Tiere im Gehege kaum zu sehen, so gut ist ihre Tarnung. Jeder Panzer ist so einmalig wie der menschliche Fingerabdruck.

Das tropische Innengelände hat 80 bis 90 Prozent relativer Luftfeuchtigkeit
Das tropische Innengelände hat 80 bis 90 Prozent relativer Luftfeuchtigkeitepd-Bild / Peter Dietrich

Penibel achtet Christin Kern auf Sauberkeit, lässt sich dabei im tropischen Innengelände seit Jahren von tropischen Asseln helfen, die alle Reste wegputzen. Die Köhlerschildkröte aus den Tropen braucht in unserem Winter rund 30 Grad, entsprechend fallen die Heizkosten aus. Das viele künstliche Licht kommt hinzu. Direkt nebenan gibt es eine große Wiese, auf der Kern Wildkräuter und Gräser sammelt. „Küchenkräuter wären völlig ungeeignet. Obst, Gemüse und Salat erst recht.“ In vielen Töpfen rund ums Haus wächst Futter. Kräuter und Blumen werden auch getrocknet.

Es gibt Wochen, in denen Kern 30 oder 40 Tiere angeboten bekommt. Und aus Platzgründen ablehnen muss. Die Tiere kommen von offiziellen Stellen aus ganz verschiedenen Gründen zu ihr, es kann sich um Beschlagnahmen, eine Scheidung oder einen Todesfall handeln.

Christin Kern erinnert sich noch daran, als es in den 1970er-Jahren kaum Literatur zu Schildkröten gab. Autodidaktisch, mit Seminaren und viel eigener Beobachtung, ist sie zur Expertin geworden. Hält Vorträge für die Volkshochschule und die Stuttgarter Wilhelma, heißt Kinder und Erwachsene zu bis zu dreistündigen Führungen willkommen. Die Wissensvermittlung ist ihr Schwerpunkt geworden.

Schildkröten können 120 Jahre alt werden

„Mit der Vermittlung von Tieren lasse ich mir Zeit“, sagt sie, „da gehe ich keine Kompromisse ein.“ Bevor sie eine ihrer geliebten Schildkröten, die alle Namen haben, weitergibt, müssen Interessenten ein genügend großes Gehege mit Licht und Wärme nachweisen. Und eine langfristige Perspektive, denn eine Schildkröte kann 80 bis 120 Jahre alt werden und im Idealfall noch Kinder und Enkel erfreuen. Empfänger müssen sich zudem verpflichten, nicht weiterzuzüchten. Das tut auch sie selbst nicht, nimmt die Eier weg. „Wir haben genügend Tiere in Deutschland.“

Die Spornschildkröte ist die drittgrößte Landschildkröte der Welt
Die Spornschildkröte ist die drittgrößte Landschildkröte der Weltepd-Bild / Peter Dietrich

Beim Besuch im Gehege der Spornschildkröten zeigt sich deren Neugier, sofort eilen sie herbei. Die drittgrößte Landschildkröte der Welt, die 80 Kilogramm wiegen kann, ist optimal an die Wüste angepasst, bei Hitze kann sie sich mit ihren kräftigen Vorderbeinen bis zu fünf Meter tief eingraben. Was, wenn die Schildkröte genau dort hinwill, wo gerade der Besucher steht? „Sie würde ihn wegschieben oder umwerfen“, sagt Kern.

Ein gewisser Respekt ist also angesagt. Den hat Leonberger-Hündin Xuma ebenfalls, seit sie einmal als Welpe von einer großen Schildkröte geweckt wurde. Vizechefin der Auffangstation ist ohnehin nicht sie, sondern eine Katze, die – ebenfalls professionell – für Mäusefreiheit sorgt.