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Hausaltäre in Japan – Schriftstellerin sieht “innigere Nähe zum Tod”

Der Tod nicht als Punkt, sondern als Gedankenstrich? So beschreibt die Autorin Milena Michiko Flasar das japanische Verhältnis zum Tod – und erklärt, was man hierzulande daraus lernen könnte.

Der Tod als Teil des Lebens – für diese Sichtweise wirbt die preisgekrönte Schriftstellerin Milena Michiko Flasar. “Er erscheint uns als eine Schnittstelle. Eine, die uns buchstäblich aus dem Leben wirft”, sagte die 45-Jährige im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Eine andere Möglichkeit sei es, den Tod als gleichermaßen wertvoll wie das Leben zu betrachten, “als seine Fortsetzung gar”. Dies sei in Japan stärker der Fall, wie Flasar in ihrem Essay “Sterben lernen auf Japanisch” beschreibt, der am Montag erscheint.

Ihrem Empfinden nach pflege man dort eine “innigere Nähe zum Tod”, erklärte die japanisch-österreichische Schriftstellerin. Beispielsweise werde viel offener über den Tod gesprochen: “Man scheut sich nicht davor, ihn direkt beim Namen zu nennen.” Ebenso sei der Umgang mit den Verstorbenen “entgrenzter”, auch wenn ebenfalls getrauert werde: “Sie verschwinden nicht hinter dicken Mauern, sondern scheinen sich lediglich hinter einem hauchdünnen Vorhang aufzuhalten.” So seien etwa Hausaltäre üblich, durch die verstorbene Menschen präsent blieben. So gingen mehrere Welten ineinander über: “Da sind wir, die leben. Da sind die, die nicht mehr leben. In dem ‘Da’ treffen wir einander.”

Der Erfahrung von Abschied könne man kaum entrinnen, fügte Flasar hinzu. “Sich mit dem Thema der Vergänglichkeit auseinanderzusetzen, hat deshalb viel mit einem selbst zu tun. Sobald man sich selbst als eine flüchtige Erscheinung begreift, begreift man zudem, wie kostbar der jeweilige Moment ist, den man gerade jetzt erleben darf. Diese Art der Innenschau führt zu einer erhöhten Achtsamkeit uns selbst und unseren Nächsten gegenüber.”

Der christliche Glaube lehre neben Hoffnung auch Demut, die es erlaube, sich selbst als Teil eines größeren Kreislaufs zu verstehen. Der Einzelne dürfe sich “im besten Sinne aufgehoben fühlen und dies wiederum macht es ihm möglich, auf andere zu- und einzugehen”, sagte die Schriftstellerin.

Flasar warb zudem dafür, persönliche Entscheidungen in Bezug auf die “letzten Dinge” zu achten. “Die einen mögen im Kreis ihrer Familie versterben, die anderen wiederum ziehen es vor, allein zu gehen. Die einen wollen nichts unversucht lassen, um noch ein Weilchen länger am Leben zu bleiben. Die anderen wiederum verweigern entsprechende Maßnahmen”, sagte sie. “Jeder Tod ist zutiefst persönlich.”

Der Essay erscheint als eines der ersten Werke bei Wasser Publishing, einem unabhängigen neuen Verlagsprojekt. Flasar wurde 1980 in Sankt Pölten geboren und lebt mit ihrer Familie in Wien. Ihr Roman “Ich nannte ihn Krawatte” wurde über 100.000-mal verkauft, stand auf der Longlist des Deutschen Buchpreises und wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt. Für den Roman “Oben Erde, unten Himmel” (2023) erhielt die Autorin im vergangenen Jahr den Evangelischen Buchpreis.