Haus Villigst: Vom Rittergut zur Tagungsstätte
Früher war es ein Rittergut, heute betreibt die Evangelische Kirche von Westfalen das Haus Villigst in Schwerte (NRW) als Tagungszentrum – eine „unverwechselbare Marke“.
Am Anfang war ein Rittergut. Vilgeste, erstmals 1170 urkundlich erwähnt, war ein ländlicher Adelssitz. Das Geschlecht der Sobben, „welches in diesen Landen sehr ansehnlich gewesen ist“, wie eine alte Quelle weiß, war erster nachweislicher Besitzer. Um 1300 lebte ein Sobbo de Svirte hier. Später kam das Gut an die Grafen von der Mark und gehörte dann lange Zeit den Herren von Elverfeldt.
Ludwig Gisbert von Elverfeldt ließ die alten Gebäude größtenteils abreißen und 1819 von Engelbert Kleinhanz ein repräsentatives Herrenhaus mit zwei symmetrischen Torhäusern errichten. Das heutige Haupthaus ist einer der wenigen klassizistischen Schloss-Neubauten in Westfalen. Die Achse zwischen den Torhäusern – mit Dreiecksgiebeln, Türmchen und wuchtigen Pfeilern – und dem Hauptgebäude ist recht kurz, bedingt durch die beengte Lage zwischen Fluss und Straße. Heute stehen zwei mächtige Bäume mitten im Innenhof. Sie spenden Schatten, machen den Hof zu einem anziehenden Ort und verdecken für den Eintretenden zugleich die Sicht auf die Fassade des Haupthauses – ein natürlicher Ausgleich der architektonischen Schwäche.
Seit 1948 Anwesen der Landeskirche
Nach dem Tod des letzten Elverfeldt 1889 fiel der Besitz durch Erbgänge zunächst an die Familie von Rheinbaben und 1916 an die von Gemmingen. Die westfälische Landeskirche konnte das Anwesen 1948 in Erbpacht übernehmen.
Das Evangelische Studienwerk e.V., die Begabtenförderung der Evangelischen Kirche in Deutschland, ist von Anfang an hier angesiedelt. Ebenso das „Sozialamt“, heute ein Teil des Instituts für Kirche und Gesellschaft, mit dem die Evangelische Kirche von Westfalen schon in den fünfziger Jahren die industrielle Arbeitswelt deutlich in den Blick nahm, besonders im Ruhrgebiet. Das Katechetische Amt zur Ausbildung von Religionslehrern kam bald hinzu.
Bereits Anfang der 50er Jahre begann der Ausbau: ein neuer Speisesaal, Mitarbeiterwohnungen, Gästezimmer, Seminarräume. Ab 1973 entstanden ein neues Gästehaus, das Medienzentrum und ein Verwaltungsgebäude, in dem heute das Studienwerk untergebracht ist.
Entscheidung für Haus Villigst
2004 traf die Kirchenleitung eine strategische Entscheidung: Mit der grundlegenden Renovierung und Modernisierung von Haus Villigst konzentriert sich die Landeskirche auf eine Tagungsstätte. Das bedeutete, sich von Haus Ortlohn (Iserlohn) zu trennen – kein leichter Entschluss. Der heutige Vizepräsident Arne Kupke sagte 2015: „Inzwischen ist Haus Villigst zu einer unverwechselbaren Marke geworden, die zur Identität unserer Landeskirche gehört. Die Entscheidung war richtig.“
Ab 2005 wurde Haus Villigst baulich, ästhetisch und technisch zu einer modernen Tagungsstätte in Verbindung mit vier zentralen landeskirchlichen Instituten ausgebaut. Rücklagenentnahmen, Verkäufe anderer Immobilien und Darlehnsaufnahmen deckten die Baukosten von rund 15 Millionen Euro. „Der Park an der Ruhr mit seinen alten Bäumen und die historischen Gebäude bilden jetzt eine Einheit mit neuen baulichen Elementen: beste Voraussetzungen für Arbeit und Tagungen“, erklärte Reinhard Miermeister, damals Landeskirchenbaudirektor.
Zunächst wurden die historischen Bauten rund um den Innenhof denkmalgerecht renoviert. Der Empfangsbereich mit seiner gläsernen Außenwand ist für die Ankommenden seitdem ein architektonisches Willkommenszeichen. Als neues geistliches Zentrum entstand eine Kapelle, die 2007 eingeweiht wurde. Damit hat die Landeskirche deutlich gemacht: Arbeit und Auseinandersetzung mit aktuellen Fragen der Zeit, mit gesellschaftlichen Herausforderungen geschehen im Horizont des christlichen Glaubens. Das alte klösterliche Prinzip „ora et labora“ (bete und arbeite) kommt hier in neuer Form zum Tragen. Längst hat sich die Kapelle bewährt – als besonderer Raum, der sich in seiner zurückhaltenden und doch eindringlichen Ästhetik von den anderen Bauten abhebt und ein Ort der Besinnung ist.
Ab 2010 ging es an die Modernisierung des Medienzentrums, mit dem Haus Villigst – neben dem großen Saal – einen zweiten qualifizierten Tagungsschwerpunkt hat. Der neue Verbindungsbau erschließt den Eingang barrierefrei und bietet einen großzügigen Pausenbereich. Renovierung und energetische Sanierung waren auch Ziel der Arbeiten am ehemaligen Gästehaus, das vom Amt für Jugendarbeit genutzt wird. Dämmung und moderne Gebäudetechnik führen zu einer Senkung des Kohlendioxid-Ausstoßes um 80 Prozent. 2019 schließlich brachte man das Gästehaus auf modernen Stand.
Einnahmen aus Übernachtungen
Die unverwechselbare Marke „Haus Villigst“ ist der Evangelischen Kirche von Westfalen einiges wert. 4,7 Millionen Euro, überwiegend für Personal, kostet der Betrieb pro Jahr – dem stehen Einnahmen aus Übernachtungen und Verpflegung, die Mieten der hier angesiedelten Einrichtungen und landeskirchliche Zuschüsse gegenüber. Ein gravierender Einbruch war die Pandemie: Vor Corona verbuchte Villigst etwa 20 000 Übernachtungen pro Jahr. 2020 und 2021 musste das Haus für viele Monate schließen, die Mitarbeitenden waren über zwei Jahre in Kurzarbeit.
Doch Geschäftsführerin Anja Werth ist optimistisch: „Für 2023 sieht es ganz so aus, als würden wir nahezu an Vor-Corona-Zeiten anknüpfen können.“ Haus Villigst, am Ruhrtalradweg gelegen, ist vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) als fahrradfreundliche Bett+Bike-Unterkunft zertifiziert. Das habe die Zahl der hier übernachtenden Radfahrer deutlich gesteigert, berichtet Anja Werth.
Wer das Haus mit anderen Quartieren vergleicht – Zimmer, Service, Essen –, wird ein hervorragendes Preis-Leistungs-Verhältnis feststellen. Nicht ohne Stolz sagt die Geschäftsführerin über ihr Team: „Hier arbeiten Fachleute für Hotel und Gastronomie, die für ihre Sache brennen.“ Und sie ist überzeugt: „Die Tagungsstätte ist mit der richtigen Leitungsstruktur kostendeckend machbar und damit ein zukunftsfähiges kirchliches Aushängeschild.“