Hass und Hetze unter dem Deckmantel der Kunst
Der ehemalige Polizist Tim K. (49) hat eine neue Berufung gefunden: Er nennt sich „love priest“, Liebespriester, und verbreitet in den sozialen Medien rechte Verschwörungstheorien. Nach eigenen Angaben folgen 487.000 Nutzerinnen und Nutzer auf verschiedenen Kanälen seinen Videos, die er als „Kunst“ und „Satire“ bezeichnet. Sein Hauptthema sind die Ampel-Regierung und Flüchtlinge, die er mit Schmähkritik überzieht.
Seinen Standort hat der rechte Influencer dabei im lippischen Dorf Tintrup mit gerade mal 320 Einwohnerinnen und Einwohner aufgebaut, das zur Stadt Blomberg gehört. Dort hat Tim K. ein altes Haus gekauft, in das er bis vor kurzem als Chef des Rockerclubs „Brothers Guard MC Salt City“ zu sogenannten offenen Abenden einlud. Nach bedrohlichen Szenen Anfang September, als K.s Gäste ein Auto des städtischen Ordnungsamts einkesselten und die Polizei mit mehreren Streifenwagen anrücken musste, hat der Kreis Lippe das Nutzungsrecht für das Gebäude als Clubhaus untersagt.
„Leider hat sich in Lippe eine bemerkbare rechte Szene etabliert, die sich überregional zusammensetzt und natürlich auf der Suche nach Orten ist, die sie für ihre Zwecke nutzen kann“, sagt der Beauftragte der Lippischen Landeskirche für Weltanschauungsfragen, Landespfarrer Horst- Dieter Mellies. Als möglichen Grund sieht er die Nähe zu Stätten wie den Externsteinen in der Region, die im Nationalsozialismus mit germanischen Traditionen in Verbindung gebracht wurden. Auch die nahe gelegene Wewelsburg bei Paderborn, in der NS-Zeit eine Kultstätte der SS und heute von europaweiter Bedeutung für die rechte Szene, könne dabei eine Rolle spielen, dass „hier eine gewisse Konzentration zu beobachten ist“.
Dass der Kreis Lippe sich in Tintrup eingeschaltet hat, ist maßgeblich einem überparteilichen Blomberger Bündnis von rund 15 Personen zu verdanken. Gerade der ländliche Raum sei besonders gefährdet bei der zunehmenden Ausbreitung rechter Strukturen in der gesellschaftlichen Mitte, erklären zwei Bündnissprecher, die anonym bleiben wollen. Mit Aufklärungsarbeit und Vernetzung mit anderen zivilgesellschaftlichen Gruppen wollen sie rechten Taktiken und Verschwörungserzählungen begegnen. Viele Vereine und Kirchengemeinden seien schon als Partner gewonnen worden, hieß es.
Die evangelische Kirche sieht eine ähnliche Problematik mit der ebenfalls in Lippe aktiven sogenannten „Anastasia“-Bewegung, die völkische, antisemitische, verschwörungsideologische und esoterische Elemente miteinander verbindet. „Die Lippische Landeskirche hat deshalb ihre Gemeinden aufgefordert, bei Vermietungen und Verkäufen von Liegenschaften besonders genau zu prüfen, ob ein solcher Kontext zu befürchten ist“, erklärt Landespfarrer Mellies.
In Tintrup stiftet K., der vor Jahren eine Bewährungsstrafe von neun Monaten wegen Körperverletzung erhalten hatte, viel Unfrieden. So verbreitete er auf seinen Kanälen die Geschichte, in dem Dorf solle ein Flüchtlingsheim errichtet werden. „Eine reine Erfindung“, sagt Timo Broeker, der für die Grünen im Stadtrat sitzt. Als die Stadt die Lüge öffentlich korrigierte, ließ K. seine Anhänger wissen: „Die Stadt rudert zurück, wir haben Erfolg!“ Nun sei die Behauptung vom geplanten Flüchtlingsheim in Tintrup in der Welt, beklagt Broeker. „Viele glauben, da muss was dran sein.“
Blombergs Bürgermeister Christoph Dolle (SPD) ist von K. derweil zum Gegner erklärt worden. Seine Follower im Internet rief er dazu auf, dem Stadtoberhaupt „Support“ zu geben. Daraufhin erhielt Dolle Hassmails und Morddrohungen. Dieses Vorgehen ist typisch für K.: Er drückt sich ironisch-verklausuliert aus, ist nicht angreifbar, seine Fans aber deuten seine Worte als Aufruf zu Hass und Hetze. Der Rat der Stadt Blomberg hat sich inzwischen geschlossen mit dem Bürgermeister solidarisiert.
Auch in seinen Videos lotet der Ex-Polizist K. den gesetzlichen Rahmen aus. Das Amtsgericht Detmold verurteilte ihn dennoch Anfang Oktober in drei Fällen wegen Beleidigung gegen drei Politikerinnen, darunter Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), zu einer Geldstrafe von insgesamt 11.000 Euro (AZ: 2 Ds 306/23). Entgegen K.s Argumentation ordnete die Richterin die Beiträge nicht als Satire ein. Schmähkritik ohne jeglichen inhaltlichen Zusammenhang sei eine strafbare Herabwürdigung der Person und weder durch Kunst- noch Meinungsfreiheit gedeckt, heißt es in dem Gerichtsbeschluss. K.s Anwalt kündigte umgehend Berufung am Bundesverfassungsgericht an. Als der Influencer das Justizgebäude verließ, jubelten ihm rund 400 Fans laut zu.
Es gebe viele Unzufriedene, die sich oft ahnungslos von den rechtspopulistischen Reden und Parolen ansprechen ließen, sagt ein Sprecher des Blomberger Bündnisses. Akteure wie Tim K. wollten das Vertrauen in das staatliche System erschüttern und dessen Funktionsfähigkeit beeinträchtigen, warnt er. Laut Bundesamt für Verfassungsschutz wird K. dem Bereich „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ zugeordnet und ist einer der einflussreichsten rechten Influencer bundesweit.