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Hanfplantage im dritten Stock

Die alte Industrieanlage steht am Rand von Prag, auf dem Areal reihen sich Lagerhallen, Werkstätten und Büroräume aneinander. Auf die Firma, die sich im dritten Stock eingemietet hat, gibt es keinerlei Hinweis – sicherheitshalber, denn hier ist eine der größten Cannabis-Plantagen Tschechiens untergebracht. Tageslicht fällt nicht in die Räume, hunderte Pflanzen bekommen tags und nachts exakt dosiertes Kunstlicht. SensiQure heißt die Firma, die unter strenger Aufsicht Hanf anbaut und einer der wichtigsten Spieler ist, die Tschechien als Großmacht für medizinisches Cannabis etablieren möchten.

Die Pflanzen stehen hinter einer Sicherheitsschleuse, hinter der den ganzen Tag leichter Überdruck herrscht – es soll keine Luft mit Keimen und Verunreinigungen in die Nähe der Pflanzen gelangen. Jiri Velechovsky trägt einen Schutzanzug, er ist einer der beiden Gründer des Unternehmens, das vor zwei Jahren als Start-up begonnen hat. „Wir sind eine pharmazeutische Firma“, sagt er: „Rein technologisch ist es zwar ähnlich, ob man Tomaten im Gewächshaus anbaut oder eben Hanf. Aber was die Ansprüche an die Präzision und die Sauberkeit angeht, lässt es sich überhaupt nicht vergleichen.“

Die Parallele zur Landwirtschaft liegt für Jiri Velechovsky nahe: Er hat an der Universität zum Cannabis-Anbau geforscht. Als sich vor gut zwei Jahren die Gesetze in Tschechien geändert haben, sodass der kommerzielle Anbau möglich wurde, gründete er gemeinsam mit seinem Kompagnon Tomas Mikula das Unternehmen SensiQure. Derzeit produzieren sie jährlich rund 800 Kilogramm getrocknete Cannabis-Blüten, die Ausweitung stehe bevor. Denn der Markt, das haben die Gründer schnell gemerkt, ist gewaltig.

Bislang liefert SensiQure die gesamte Produktion nach Deutschland. Die Firma Nimbus Health bringt dort das tschechische Cannabis in Medikamentenform in Apotheken, wo es Patienten mit ärztlichem Rezept kaufen können. Vor allem als Schmerzmittel sind die Präparate im Einsatz.

„Wir teilen das gleiche Verständnis und die gleichen Visionen rund um die Cannabismedizin“, sagt Alessandro Rossoni, der Geschäftsführer der Firma Nimbus Health aus Offenbach. Die Firma beliefert Apotheken mit Cannabis-Präparaten und beobachte, dass sich der Markt seit April 2024 schon jetzt verdoppelt habe. Im April hat sich in Deutschland die Gesetzeslage geändert, unter anderem wurde die Anwendung von medizinischem Cannabis vereinfacht. Jetzt müsse sich zeigen, sagt Alessandro Rossoni, „in welcher Form die Cannabinoid-Therapien ihren Weg in die Therapie-Leitlinien für verschiedene Indikationen finden.“

Ein großer Teil des in Deutschland verkauften Arznei-Cannabis wird importiert. Die Einfuhren gehen steil nach oben. Im ersten Quartal 2024 wurden nach Angaben des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte rund acht Tonnen Cannabisblüten zu medizinischen und wissenschaftlichen Zwecken nach Deutschland importiert, im zweiten Quartal 2024 waren es schon elf Tonnen.

Bislang gilt Kanada als Hochburg des Cannabis-Anbaus für medizinische Zwecke, von hier kamen bereits 2023 fast 17.000 Kilo nach Deutschland. In Europa ist Portugal der Marktführer. Jetzt steigen verstärkt tschechische Firmen in großem Stil in den Markt ein, die als Pharma-Firmen registriert sind und von den Behörden kontrolliert werden.

Um die schiere Menge, sagen Jiri Velechovsky und Tomas Mikula, gehe es ihnen aber nicht. Sie blieben lieber bei überschaubaren Chargen und konzentrierten sich stattdessen auf Forschung und Entwicklung. Ein Team von Wissenschaftlern sei damit beschäftigt, den Zuchtprozess der Pflanzen immer weiter zu optimieren: Grammgenau werden sie mit speziell erprobten Düngermischungen versorgt, bis hin zur Wasser- und Lichtmenge ist alles präzise geplant. Andere Teams arbeiten daran, die Pflanzensorten durch gezielte Züchtungen immer weiter zu verbessern, wieder andere entwickeln neue Produkte – sodass nicht nur die getrockenen Blüten verkauft werden können, sondern auch Öle oder Tabletten. „Der Markt in ganz Europa“, sagt Jiri Velechovsky, „gerät gerade richtig in Bewegung.“