Handyverbot an Schulen? – Bildungsexperten sind dafür

In Kanada oder Frankreich ist es untersagt, und auch die Briten planen ein Smartphone-Verbot an Schulen: Das Handy lenke zu sehr ab. Bildungsexperten in Deutschland sehen es ähnlich – genauso wie die meisten Deutschen.

Kinder, die in der Pause auf ihr Handy gucken, statt sich miteinander zu unterhalten. Die schnell mal im Unterricht checken, wer sich denn gerade bei ihnen gemeldet hat, wenn das Smartphone auf ihrem Pult piept.

In deutschen Schulen ist dieses Szenario Alltag, in vielen anderen Ländern gehört es der Vergangenheit an: „In Kanada etwa sind Handys mittlerweile im Unterricht der Grundschule bis zur sechsten Klasse häufig verboten“, sagt die Heidelberger Bildungsforscherin Anne Sliwka. Handyverbotsschilder zeigten dies in der Schule an. In den Schulen gibt es in dem Land, das 15 Jahre Erfahrung in der Digitalisierung hat, oft Handyschränke in den Klassen: Die Kinder legen hier ihre Geräte hinein, wenn sie in die Schule kommen. Nur nach ausdrücklicher Aufforderung dürfen sie sie herausnehmen.

„Viele skandinavischen Länder, aber auch Kanada oder Neuseeland, die ihre Schulen schon vor Jahren und lange vor uns digitalisiert haben, rudern zurück: Sie haben festgestellt, dass das Ablenkungspotenzial von Handys im Unterricht zu hoch ist“, sagt Sliwka, die regelmäßig an Schulen im Ausland unterwegs ist. „Wir in Deutschland haben dagegen immer noch eine zu wenig durchdachte Digitalisierungsstrategie.“

Und dass, obwohl eine breite Mehrheit bundesweit offenbar für ein vollständiges Verbot der Handynutzung an Schulen ist. 60 Prozent der Befragten sprechen sich laut Bild-Zeitung in einer aktuellen repräsentativen Umfrage des Instituts Insa dafür aus. Gegen ein Handyverbot sind demnach 30 Prozent der Befragten; ein Zehntel (zehn Prozent) weiß es nicht oder wollte keine Antwort geben.

Auch Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU) will die Nutzung von Mobiltelefonen in Grundschulen reglementieren und prüfen lassen, in welchem rechtlichen Rahmen ein Handyverbot während der Unterrichtszeit umgesetzt werden könne. Und Großbritannien und die Niederlande streben dies ebenfalls an.

Ebenso plädiert Bildungsexpertin Sliwka für eine striktere Regulierung durch die Schulen: Durch die ständige Handynutzung könnten sich Kinder nicht mehr auf längere Lesestücke konzentrieren. Das typische schnelle Springen von einer Sache zur nächsten beeinflusse die Konzentrationsfähigkeit, die aber nötig sei, um zum Beispiel Lesen zu lernen – eine Grundkompetenz, die laut Studien immer mehr Kindern in Deutschland schwerfällt. Entsprechend schlecht ist auch die Rechtschreibung, die mit der Lesekompetenz einhergeht. „Wer in Sekunden neue Infos bekommt, kann einen Sachverhalt nur oberflächlich aufnehmen und nicht kognitiv erschließen“, so die Forscherin.

Ein anderer Punkt, den sie kritisch sieht: Die sozial-emotionale Entwicklung bleibe bei dauernder Smartphone-Nutzung auf der Strecke. „Es gibt Kinder, die können anderen nicht mehr so gut ins Gesicht schauen oder auf andere Menschen zugehen, weil sie es nicht gelernt haben“, sagt die Wissenschaftlerin mit Blick auf stumm vor sich hin daddelnde Kinder in den Schulpausen. „Jeder bleibt für sich.“ Auch deshalb ist es aus ihrer Sicht wichtig, innerhalb der Schule handyfreie Sozialräume zu schaffen, in denen Kinder ‚Face-to-Face-‚-Sozialformen üben.

Viele Länder, die Deutschland in der Digitalisierung voraus seien, setzten inzwischen an Schulen auch wieder verstärkt auf das gedruckte Wort. „Kanada, Dänemark und auch Neuseeland bauen neue Schulbibliotheken in der Mitte der Schule – große, wunderschöne Orte mit gemütlichen Sitzecken und vielen verschiedenen Büchern für verschiedene Zielgruppen“, sagt Sliwka. „Diese Lernkurve steht bei uns erst noch an.“

Es gehe ihr nicht darum, die Digitalisierung komplett aus dem Unterricht zu verbannen. „Sie muss aber gezielt und bewusst eingesetzt werden, da wo sie Sinn macht, zum Beispiel für projektorientiertes Lernen. Die Sache einfach laufen zu lassen ist keine Option“, betont sie.

Ähnlich sieht es auch der Mediziner Thomas Fischbach, ehemaliger Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ): „Die Faktenlage ist eindeutig: Zu viel kindlicher Medienkonsum führt zu Konzentrationsverlusten, Schlafstörungen, Gewichtszunahme und schlechteren schulischen Leistungen“, so der Kinderarzt. „Insofern wäre ein Handyverbot an Schulen durchaus sinnvoll.“

Es habe nichts mit Medienkompetenz zu tun, „wenn Schüler unter dem Tisch während des Unterrichts irgendwelche Youtube-Videos gucken.“ Für die kindliche Entwicklung sei zu viel Medienkonsum schädlich.

Eltern, die selbst ständig aufs Handy schauen oder ihre Kindern schon in sehr jungen Jahren vor das Tablet setzen, weil es das einfachste ist, um Ruhe zu haben: Diese Lösung wird vielen Erwachsenen bekannt vorkommen. „Wie ein Schnuller“, sagt Sliwka. Gerade deshalb sei es wichtig, „Kindern und Jugendlichen Selbstregulationsstrategien an die Hand zu geben, wie sie ihre mentale Gesundheit in einer ‚Always-on‘-Gesellschaft schützen können. Eltern müssen verstehen, dass ein schulisches Smartphone-Verbot keine Schikane sein soll, sondern dass es um die Zukunft ihrer Kinder geht“, sagt sie.

Für Eltern, die sich sorgen, dass sie ihre Kinder nicht mehr erreichen können, wenn diese in der Schule kein Smartphone dabei haben, hat Mediziner Fischbach einen pragmatischen Tipp: Einfach ein Tastenhandy mitgeben – ohne ablenkenden Internetzugang.