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Hamburger Schülerin gewinnt Preis für bewegende Spurensuche

Eine Frau trotzt allen Grenzen: Annaliese Teetz erhielt als erste Deutsche das Kapitänspatent – durfte aber nie das Kommando führen. Eine Schülerin erinnert im Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten an ihr Schicksal.

Sie fuhr als Mann verkleidet zur See, kämpfte gegen Behörden, Gesetze und Vorurteile – und wurde doch nie Kapitänin eines Schiffes. Die Geschichte der 1910 geborenen Annaliese Teetz klingt wie ein Drehbuch: eine Frau mit unerschütterlichem Willen, die sich in der männlich dominierten Welt der Seefahrt durchzusetzen versuchte. Die 17-jährige Hamburger Schülerin Lara Ahlers hat ihr nun ein Denkmal gesetzt – mit einer historischen Spurensuche, für die sie beim Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten mit dem ersten Preis ausgezeichnet wird.

“Ich fand es total spannend, dass sie als erste deutsche Frau überhaupt das Kapitänspatent erworben hat”, sagt Ahlers. “Je mehr ich mich mit ihr beschäftigt habe, desto beeindruckter war ich davon, welche Beharrlichkeit und welchen Willen sie gezeigt hat.” Die Elftklässlerin des Gymnasiums Altona hat monatelang recherchiert, Archive besucht, Zeitzeugen befragt und Dokumente aus dem Nachlass der 1992 gestorbenen Seefahrerin ausgewertet.

Schon in den 1930er Jahren heuerte die studierte Lehrerin Annaliese Teetz auf Fischkuttern an – damals noch als “Anton” oder “Jonny”, weil Frauen offiziell nicht zur Seefahrt zugelassen waren. 1943 erhielt die Hamburgerin dank einer Sondergenehmigung eine Anstellung als Steuermann, 1955 schließlich als erste Frau in Deutschland das Kapitänspatent. Doch das oberste Kommando auf der Brücke blieb ihr verwehrt: Zwar fuhr sie auf verschiedenen Schiffen als Erste Offizierin, doch als Kapitänin wollte keine Reederei eine Frau einstellen.

“Dass sie all diese Hürden überwunden hat und trotzdem nie wirklich zur See fahren durfte, hat mich sehr berührt”, erzählt Ahlers. Ihre Arbeit trägt den Titel “Kapitänin ohne Schiff – Annaliese Teetz und ihr Kampf gegen die Ausgrenzung auf See”.

Aufmerksam wurde die Schülerin auf das Thema, nachdem sie selbst sieben Monate auf einem Segelschulschiff unterwegs war – im Rahmen des Projekts “High Seas High School”, das Jugendliche über den Atlantik führt. “Zwar waren auf unserem Schiff viele Frauen in der Crew. Aber ich habe mitbekommen, dass Frauen in der Seefahrt immer noch sehr stark unterrepräsentiert sind.”

Für ihre Recherche nahm sie Kontakt zur Nichte von Annaliese Teetz auf, sichtete Briefe, Fotos und persönliche Erinnerungen. Sie sprach mit einem ehemaligen Schüler von Teetz und mit Frauen, die heute zur See fahren. Besonders beeindruckt habe sie ein Schriftwechsel zwischen Teetz und dem Reichsverkehrsministerium: “Da wurde immer wieder deutlich, wie sie abgewertet wurde, aber trotzdem nie aufgegeben hat”, erzählt Ahlers.

Ihre Tutorin Elke Niesters, Geschichtslehrerin am Gymnasium Altona, ist begeistert vom Engagement ihrer Schülerin: “Lara hat sehr planvoll und selbstständig gearbeitet. Wenn ein Rechercheweg nicht weiterführte, ließ sie sich nicht irritieren, sondern suchte neue Wege. Ihre Begeisterungsfähigkeit war enorm.”

Die junge Forscherin verknüpfte das Schicksal der Kapitänin mit aktuellen Fragen: “Ich habe mit Frauen vom Verband Frauen zur See gesprochen”, berichtet sie. “Die haben erzählt, dass es auch heute noch Vorurteile, abwertende Kommentare und sogar Übergriffe gibt. Die Seefahrt ist immer noch eine Männerdomäne.”

Ihre mit 2.500 Euro dotierte Auszeichnung erhält Lara Ahlers am Dienstag im Schloss Bellevue in Berlin aus den Händen von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Der von der Körber-Stiftung organisierte Geschichtswettbewerb steht in diesem Jahr unter dem Motto “Bis hierhin und nicht weiter!? Grenzen in der Geschichte”. Mehr als 6.700 Schüler beteiligten sich mit 2.289 Beiträgen – so viele wie seit 30 Jahren nicht mehr.

Neben Ahlers werden zwei weitere Schüler und zwei Schülergruppen aus Münster, Dresden, Karlsruhe und Hamburg mit dem ersten Preis geehrt. Ihre Arbeiten beleuchten die Täuferbewegung im 16. Jahrhundert, einen deutsch-tschechischen Grenzfluss, den Physiker Otto Lehmann und das Schicksal jüdischer Flüchtlinge im Shanghaier Ghetto.

Für Ahlers war es bereits die dritte Teilnahme am Wettbewerb. Schon zweimal hatte sie zuvor Landessiege errungen. Was sie antreibt, immer wieder mitzumachen? “Ich finde es toll, dass man sich so intensiv mit historischen Themen auseinandersetzen kann”, sagt sie. “Ich habe bei jeder Wettbewerbsrunde so viele interessante Menschen kennengelernt und neue Perspektiven gewonnen – das allein war es schon wert.”