Der Israelitische Tempelverband in Hamburg lehnt eine wirtschaftliche Weiterentwicklung der Tempelruine in der Poolstraße (Neustadt) ab und hat eine Machbarkeitsstudie für den Wiederaufbau der zerstörten Synagoge vorgestellt. Der Verband fordert die Rückübertragung des Synagogengrundstücks von der Stadt an die Gemeinde sowie die Restaurierung des Nationaldenkmals, wie die liberale jüdische Gemeinde am Montag mitteilte. Die vom Senat vorgesehene „wirtschaftliche“ Entwicklung des Tempel-Areals weist die Gemeinde mit rund 300 Mitgliedern als „demütigend“ zurück.
Angesichts des beschlossenen und finanzierten Wiederaufbaus der Bornplatzsynagoge für die jüdische Einheitsgemeinde fordert die liberale Gemeinde nach eigenen Angaben eine „gleichberechtigte Kostenübernahme der Baukosten und Betriebskosten als Akt der Wiedergutmachung und Versöhnung“. Beide jüdischen Gemeinden sollten gleichwertig behandelt und gefördert werden, hieß es. Laut Machbarkeitsstudie, die vom Israelitischen Tempelverband in Auftrag gegeben wurde, belaufen sich die kalkulierten Gesamtkosten für die Restaurierung des „Neuen Tempels“ auf 20 Millionen Euro.
In seiner Machbarkeitsstudie zeigte der Berliner Architekt Jost Haberland jetzt auf, wie ein Wiederaufbau für die liberale Gemeinde aussehen könnte. Möglich sei eine multifunktionale Nutzung als Gemeindezentrum mit Synagoge. Haberland: „Das Raumprogramm beinhaltet neben einem Gebetsraum mit 300 Sitzplätzen im Erdgeschoss und möglichen 130 weiteren Plätzen auf der Empore unterschiedliche Räume für das Gemeindeleben.“
Architektonisch sieht die Studie eine Kombination von historischen Gebäudefragmenten mit modernen Bauelementen vor. „Gestalterisch sollen die Spuren und Wunden der Vergangenheit erleb- und sichtbar bleiben“, erläuterte Haberland laut Mitteilung. Letztlich gehe es darum, dem liberalen Judentum in Hamburg eine würdevolle und vor allem sichere Heimstatt zu geben, und dass jüdisches Leben und jüdische Kultur in all seiner Vielfalt wieder ein selbstverständlicher Teil unseres Alltages werden.
Zuvor hatte Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) laut Gemeinde angekündigt, bei der Weiterentwicklung des Gebäudes zwar die Bedürfnisse des Tempelverbands zu berücksichtigen, jedoch müsse sich das Gebäude wirtschaftlich selbst tragen. Eine weitere Förderung sei durch den Senat nicht vorgesehen, zitierte die Gemeinde. „Unser Vorstand ist erschüttert über eine solche Denkweise, zumal gerade der Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz begangen wurde“, teilte der Tempelverband mit. „Wir erwarten hier Respekt vor den ermordeten Mitgliedern unserer Gemeinde und vor dem baulichen und kulturellen Erbe unserer Gemeinde. Ferner erwarten wir von Bürgerschaft, Senat und Bund eine sofortige Gleichbehandlung und Förderung ohne Wenn und Aber“, sagte Vorstandsmitglied Galina Jarkova.
Die liberale Gemeinde fordert neben einer sofortigen Gleichbehandlung die Rückgabe von Vermögenswerten und die Bestätigung der sogenannten altkorporierten Körperschaft. Der Hamburger Israelitische Tempelverband sei eine Fortführung der Muttergemeinde des weltweiten Reformjudentums, die 1817 in der Hansestadt begründet wurde. Der 1844 errichtete Sakralbau in der Neustadt gelte als Wurzel des liberalen Judentums. Liberale Juden grenzten sich mit Predigten in deutscher Sprache, Orgelmusik und deutschen Chorälen ab, auch die Gleichberechtigung von Mann und Frau sei wichtig.
Der Bau in der Poolstraße sei die erste Synagoge mit einer Orgel und einem gemischten Chor und habe eine ähnliche Bedeutung für das liberale Judentum wie für die evangelisch-lutherische Kirche die Schlosskirche in Wittenberg, wo Martin Luther 1517 die Reformation mit seinen 95 Thesen startete, hieß es. In der Zeit der Nationalsozialisten wurde die Synagoge in der Hamburger Poolstraße 1937 zwangsverkauft. Im Zweiten Weltkrieg wurde sie weitgehend zerstört, lediglich Gebäudefragmente der Chornische, des Portals und eine Außenmauer des Mittelschiffs blieben als Ruinen erhalten. 2020 hatte der städtische Landesbetrieb Immobilienmanagement und Grundvermögen (LIG) der Finanzbehörde ein Teilareal gekauft und sich zum Erhalt verpflichtet. Seitdem werde an Konzepten für das Areal gearbeitet.