Gutgläubig

Was muss man tun, um ein guter Mensch zu sein? fragt Petra Huse. Sie ist Pastorin in Anklam (Mecklenburg-Vorpommern).

Der Predigttext des folgenden Sonntags lautet: „Aber Josef weinte…“ aus 1.Mose 50,17
Samstagabend um halb 8. Ich bin endlich im Garten. Da steht eine Frau vor mir, fragt in gebrochenem Deutsch nach einem Quartier. Im neuen Mercedes warten ein Mann und drei Kinder. Sie erzählt eine merkwürdige Geschichte. Es scheint mir seltsam, mit drei Kindern auf diese Weise in Anklam zu stranden und gleich das Pfarrhaus zu finden. Ich kann die Geschichte nicht glauben. Ich kann mir nicht vorstellen, alle in meine Wohnung zu bitten. Ich versuche zu telefonieren, ob ein Anderer Quartier hat. Niemand erreichbar. Dann fragt sie nach Geld. Ich gebe nichts, und sie geht.
Als sie weg ist, habe ich gute Argumente, warum es völlig in Ordnung war, nicht zu helfen. Ein Bild über diese Menschen ist in meinem Kopf, das alles rechtfertigt: Eltern, die Kinder als Druckmittel einsetzen. Leute, die sich grundsätzlich durchschnorren oder noch ganz anderes vorhaben. Selbst wenn die Geschichte stimmt: Ist es nicht unverantwortlich? Was wäre alles möglich, ließe ich sie in meine Wohnung? Mein Bild passt prima zu dem, was ich tue. Zurück im Garten, frage ich mich, ob ich jemand sein möchte, der niemals sagen muss: Ich war gutgläubig.
Jeder ist schon einmal an einem Bettler vorbeigegangen, ohne nach einer Münze zu suchen oder an einer ausgestreckten Hand, ohne sie zu ergreifen. Es gibt gute Gründe dafür. Die Frage ist nicht: Was muss man tun, um ein guter Mensch zu sein? Die Frage ist: Was hält mich davon ab?
Josefs Geschichte ist anschaulich abgründig: Herzlose, eifersüchtige Brüder, die Schreckliches getan haben. Selten ist das Gedächtnis so stark wie bei dem, was böse und verletzend war. Welchen Grund gäbe es, nicht bei erstbester Gelegenheit zu triumphieren und Recht zu behalten? Mein Gericht über euch ist mein Bild im Kopf, mein Misstrauen.
Gutgläubig klingt nach schwach. Das Evangelium nennt es Stärke. Ach, Josef, deine stärksten Tränen, als du es endlich glauben kannst! Woran glaube ich? An das Bild in meinem Kopf oder an die Möglichkeit des Guten, das immer Gottes Wirken ist?
Unsere Autorin
Petra Huse
ist Pastorin in Anklam (Mecklenburg-Vorpommern).
Zum Predigttext des folgenden Sonntags schreiben an dieser Stelle wechselnde Autoren. Einen neuen Text veröffentlichen wir jeden Mittwoch.