Gutes tun mit spendiertem Kaffee – Solidaritätsaktion boomt

In Neapel gilt der soziale Zusammenhalt als besonders stark. Kein Wunder, dass die Idee für einen „geschenkten Kaffee“ einst hier entstand. Inzwischen werden Heißgetränke für Fremde auch anderswo spendiert.

Es geht rege zu und her im Cafe des kulturellen Generationenhauses in der Schweizer Hauptstadt Bern. Menschen lesen Zeitschriften, halten an Bistro-Tischen Sitzungen ab oder sind mit Kind hier und genießen Kaffee oder heiße Schokolade. Draußen ist es regnerisch und kühl. Kein Wetter, um im Freien zu verweilen. Wer zu wenig Geld für einen Kaffee hat – und in der Schweiz kostet er mittlerweile im Schnitt sechs Franken, also gut sechs Euro -, ist an kühleren Tagen oft vom sozialen Käffchentrinken im öffentlichen Leben ausgeschlossen.

Aber nicht überall. Einige Cafes, verteilt in der ganzen Schweiz, haben sich einer solidarischen Aktion angeschlossen. Sie heißt „Cafe Surprise“, und sie funktioniert so: Jemand bezahlt zwei Kaffees, trinkt aber nur einen. Die zweite Tasse darf jemand anders konsumieren, der oder die sich keinen Kaffee leisten könnte. Die bedürftige Person muss lediglich Bescheid geben, dass sie gern einen „Surprise-Kaffee“ hätte. Es braucht keine weiteren Erklärungen oder Rechtfertigungen.

Im Generationenhaus steht auf der Bartheke neben Törtchen und Studentenschnitten eine kleine schwarze Tafel mit den Lettern „Spendierte Kaffees“. Darunter sind 19 Kreide-Striche erkennbar, sprich: 19 spendierte Kaffees. „Die Leute sind spendierfreudig“, weiß Nicolas Fux, Angebotsleiter von „Cafe Surprise“. Die Aktion funktioniere gut, und viele armutsbetroffene Personen seien dankbar über dieses Angebot.

Gestartet hat die Aktion vor zehn Jahren der schweizerische Verein Surprise. Er gibt auch eine gleichnamige Zeitschrift heraus, die von sozial benachteiligten Menschen auf den Straßen verkauft wird. Damit können die Verkäufer und Verkäuferinnen ihren Lebensunterhalt aufbessern.

Gastrobetriebe können sich beim Verein melden und sich der Aktion anschließen. „Aktuell sind es 118 Cafés und Restaurants schweizweit, die mitmachen“, sagt Fux. „Tendenz steigend, jedes Jahr kommen neue dazu.“ Nach wie vor werde mehr gespendet als konsumiert. Das habe vor allem damit zu tun, dass bedürftige Menschen erst erfahren müssten, dass und wo man einen Kaffee abholen könne. Aber die Anzahl der bezogenen Kaffees zeige, dass es das Angebot brauche: „Letztes Jahr sind 18.000 Kaffees über die Theke gegangen.“ Dies in 37 Ortschaften, nebst Bern unter anderem in Basel, Zürich oder Luzern.

Die Idee stamme aus Italien, sagt Fux: Dort sei der „caffe sospeso“ schon lange bekannt. Das heißt soviel wie „aufgeschobener Kaffee“. Der „caffe sospeso“ wurde allerdings nicht vor ein paar Jahren erfunden, sondern vor über hundert Jahren. Die Idee stammt aus Neapel, wo sich in vielen Bars der Brauch, einen zweiten Kaffee zu verschenken, um die Wende zum 20. Jahrhundert etablierte. Gelebt wird er bis heute.

Ab 2008, also im Zuge der internationalen Finanzkrise, wurde der neapolitanische Brauch nach und nach in verschiedenen Orten kopiert. So gibt es mittlerweile in Deutschland den „Suspended Coffee Germany“, in Österreich ebenfalls den „caffe sospeso“ oder in Spanien den „cafe pendiente“. „Suspended Coffee Germany“ existiert seit 2013; über 200 Cafes in der Bundesrepublik beteiligen sich.

Das Konzept weitet sich auch auf andere Lebensmittel aus: Seit 2020 gibt es in Basel über die Wintermonate die „pizza sospesa“. Als Kunde oder Kundin kann man ein Stück oder eine ganze Pizza zusätzlich bezahlen, jemand anders darf sie essen. Die Pizzeria Vito hat diese Aktion mit dem Verein Surprise als Sozialpartner initiiert. Die Idee inspiriert: Wo könnte man das sonst noch einführen? Im Supermarkt? Im Kleidergeschäft? Schuhladen? Apotheke?

Im Generationenhaus in Bern nehmen immer wieder Menschen das Angebot des kostenfreien Kaffees wahr, erzählt die Frau hinter der Theke – es dürften jedoch mehr sein. Wegen der Corona-Krise sei „Cafe Surprise“ einige Monate eingestellt worden. Danach habe es sich wohl erst wieder herumsprechen, „dass man hier einkehren und um einen Kaffee bitten darf“. Nicolas Fux betont, natürlich gehe es auch um den finanziellen Aspekt: denen zu helfen, die weniger Geld haben. Im Vordergrund stehe aber, „dass sozial benachteiligte Menschen nicht vom öffentlichen Leben ausgeschlossen sind“.