Gutes mit Gutem vergelten

„Das Leben ist ein Bumerang, alles, was du Gutes tust, kommt irgendwann zu dir zurück.“ Diese Erfahrung hat Anke von Legat gemacht – und beobachtet seitdem, dass Menschen gerne etwas zurückgeben.

Die alten Häuser der Södermalm in Stockholm konnte Anke von Legat auch genießen.
Die alten Häuser der Södermalm in Stockholm konnte Anke von Legat auch genießen.Unsplash/Adam Gavlak

Stockholm – wunderbare Stadt am Meer! Glitzerndes Wasser, Inseln, Brücken, Kirchen, Kneipen, und dazu dieses klare, ganz besondere nordische Licht. Es gibt nur einen Haken: Urlaub hier ist fast unbezahlbar. Das stelle ich schnell fest, als ich im Sommer 2022 nach sechs Wochen Pilgerwanderung eine Möglichkeit suche, ein paar Tage dort Urlaub zu machen.

„Weißt du schon, wo du wohnen wirst?“, fragt mich Annette morgens beim Frühstück. Wir sitzen in der Jugendherberge in Vadstena, der Stadt der Heiligen Birgitta mitten in Schweden. Beide sind wir wegen der alten Klosterkirche hier – für mich das Ziel meiner Pilgertour und für Annette ein Gebets- und Kraftort. Ein paar Tage lang haben wir uns morgens in der Küche getroffen, haben über unserem Müsli über Glauben und Spiritualität, Lebenspläne, Vergangenheit und Zukunft gesprochen und sind uns nähergekommen.

Blick von Södermalm auf Wasser und weitere Teile Stockholms

Als Annette jetzt fragt, zucke ich mit den Schultern. „Nein, ich suche noch.“ Annette schweigt einen Moment und rührt in ihrem Müsli. Sie ist ein sanfter, vorsichtiger Mensch und überlegt ihre Sätze genau. Dann sieht sie mich an. „Ich habe ein Appartement in der Innenstadt, das ich im Moment nicht brauche“, sagt sie. „Wenn du möchtest, könntest du da wohnen.“

Im ersten Augenblick denke ich, dass ich mich verhört habe. Oder habe ich vielleicht was falsch verstanden? Mein Schwedisch ist alles andere als perfekt… Aber nein: Annette will mir wirklich ihre Wohnung überlassen. Mir, der Fremden, die sie erst seit ein paar Tagen kennt. In Östermalm, mitten im touristischen Zentrum. Besser kann man kaum wohnen in Stockholm. Und sie möchte dafür keine Öre Miete.

Es ist so, als könnte ich etwas zurückgeben

Ich kann das kaum fassen. Ein paar Mal frage ich nach, aber das Angebot bleibt bestehen. Und so treffen wir uns einige Tage später vor einem Stockholmer Altbau zur Schlüsselübergabe. „Annette“, sage ich noch einmal, während sie mir die winzige, aber behaglich eingerichtete Wohnung zeigt, „bei Airbnb könntest du ein Vermögen damit machen. Möchtest du wirklich keine Bezahlung von mir?“

Aber Annette bleibt dabei: kein Geld. „Weißt du“, erklärt sie, „ich bin in meinem Leben auch schon viel gereist, in Indien, Amerika, Europa. Und überall habe ich Menschen getroffen, die mir geholfen haben, wenn ich Hilfe brauchte. Einfach so, umsonst. Wenn ich dir jetzt die Wohnung überlasse, ist das so, als könnte ich etwas zurückgeben von dem Guten, das ich erfahren habe.“ Ich überlege. „Meinst du so was wie Karma?“, frage ich. „Ja, genau. Karma“, sagt sie und lächelt dabei ein bisschen verlegen.

Verlegen bin ich auch angesichts ihrer Großzügigkeit, die ich mit ein paar Geschenken, die ich bei der Abreise in der Wohnung lasse, nicht ausgleichen kann. Aber dann tröstet mich ein anderer Gedanke: In den zwei Monaten, die ich unterwegs war, haben ebenfalls Fremde in meinem Haus gewohnt – ein kanadisch-russisches Wissenschaftler-Paar, die in Bielefeld an der Uni forschen wollten. Auch ich hatte ihnen spontan die Unterkunft angeboten. Und auch ich habe dafür keine Miete genommen. Wichtiger als Geld erschienen mir damals ganz einfach Freundlichkeit, Großzügigkeit und Vertrauen – gerade in Zeiten, in denen Corona und der Ukraine-Krieg solche Werte in Frage stellten.

Anke von Legat in Stockholm, links neben ihr eine Krone, die auf einem Brückengeländer befestigt ist.

Ist Annettes Großzügigkeit also so etwas wie ausgleichende Gerechtigkeit, die irgendwo auf einer höheren Ebene stattfindet? Ehrlich gesagt bin ich geneigt, das zu glauben, auch wenn ich nicht genau weiß, wie das funktioniert. Dass Gott eine Strichliste guter Taten führt und dafür Belohnungen zuteilt, ist mir zu menschlich gedacht. Aber vielleicht gibt es so etwas wie eine Brunnenschale an Nächstenliebe, die umso reichlicher überfließt, je mehr wir hineingeben? Auch wieder nur ein Bild, aber eines, das mir besser zu passen scheint zum Gott der Liebe und Gerechtigkeit.

Ich verbringe herrliche Tage in Stockholm – immer in dem dankbaren Bewusstsein meines Wohnungs-Glücks. Zurück in Deutschland, erzähle ich ab und zu von meinem Erlebnis mit dem „guten Karma“, das großzügig ausgeteilt wird und auf Umwegen wieder zur Geberin zurückkommt und stoße dabei auf überraschend viele ähnliche Geschichten. Oder, um es anders zu formulieren: Ich treffe viele Menschen, die wie ich spontane Freundlichkeit, Großzügigkeit, Mitmenschlichkeit erlebt haben und davon so angerührt waren, dass sie ihrerseits genauso handeln.

Zum Beispiel Kerry und ihre Freundin, die sich fürs Studium beide um ein Stipendium beworben hatten. Kerry verfehlte es knapp, die Freundin bekam es – und gab Kerry zwei Jahre lang monatlich 100 Euro ab. Eine Rückzahlung wollte sie nicht haben: „Sieh das Geld als Wanderpokal, den du irgendwann an jemanden weitergibst, der es braucht“, lautete ihr Auftrag. Den hat Kerry jetzt, gut zwanzig Jahre später, erfüllt: Die Summe steckte sie in die Bürgschaft für einen nigerianischen Studenten, der aus der Ukraine fliehen musste und jetzt, auch dank ihres Beitrags, in Deutschland bleiben darf.

Handeln, als gäbe es ein Weltkonto an Gutem

Gutes mit Gutem vergelten – viele Menschen haben offenbar dieses Bedürfnis. Vermutlich liegen die Ursprünge dessen in einer Zeit, in der die menschliche Spezies lernte, dass Kooperation und Teilen dem Überleben der ganzen Gruppe dient. Wer in der Steinzeithorde etwas gab – Arbeitskraft, Anteile aus seinen Vorräten, freundliche Zuwendung –, durfte auch nehmen und umgekehrt. Es steckt also gewissermaßen in unseren Genen, bei guten Taten für Ausgleich zu sorgen.

Darüber hinaus handeln viele Menschen aber so, als gäbe es ein Weltenkonto an Gutem, aus dem man überraschend und unverdient etwas empfängt und dann selbst bei anderer Gelegenheit aus freien Stücken einzahlt. Dabei geht es nicht um eine überweltliche richtende Instanz, die jeder und jedem am Ende seine guten und bösen Taten vorhält und danach urteilt; nein, es geht vielmehr darum, das Gute in der Welt zu mehren, aus reiner Freude über das Leben, Dankbarkeit, Menschenliebe. Diesen Gedanken finde ich schön, und für mich selbst gilt: Im Nehmen und Geben bin ich Gott dankbar, dem „Geber aller Gaben“, der mich und diese Welt in seiner Hand hält. Aber unabhängig davon, ob jemand an Gott glaubt oder nicht, ist eins sicher: Böses gibt es ohnehin genug. Gutes aber kann man nicht genug haben und geben.