Zeitumstellung: Gottes Zeit als Verbindung von Gegenwart und Zukunft

Am Sonntag um 3 Uhr morgens werden die Uhren wieder eine Stunde zurückgestellt. Gedanken über eine ganz andere Zeitrechnung: Gottes Zeit.

Ewigkeit sprengt unsere menschliche Taktung von Stunden, Minuten und Sekunden. Sie ist im wahrsten Sinne des Wortes unermesslich
Ewigkeit sprengt unsere menschliche Taktung von Stunden, Minuten und Sekunden. Sie ist im wahrsten Sinne des Wortes unermesslichSersoll

Am 29. Oktober werden wir die Stunde zurückbekommen, die wir Ende März verloren haben. Es wird dann morgens früher hell und am Abend eher dunkel. Daran müssen wir uns gewöhnen, so wie wir uns daran gewöhnen mussten, dass am 26. März unser Lebensrhythmus einen einstündigen Zeitsprung nach vorne zu verkraften hatte. Ist das so schlimm?

Wer zwischen den Kontinenten hin und herfliegt, muss noch ganz andere Zeitsprünge hinnehmen. Vielflieger können kuriose Geschichten davon erzählen, was die innere Uhr in einem „Jetlag“ mit ihnen machte. Aber auch schon ein einstündiges Drehen an der inneren Uhr will vom Organismus bewältigt werden. Der Widerstand gegen die Zeitumstellung auf Winter- und Sommerzeit wird verständlicherweise immer größer, zumal sich die erwarteten Energiespareffekte nicht eingestellt haben.

Ewigkeit als Gottes „Zeit“ relativiert unser Zeitempfinden

Der Blick auf eine Zeitumstellung noch anderer Art öffnet sich uns im Glauben an Gott. Die innere Uhr Gottes scheint nämlich entschieden anders zu laufen als die Uhren, mit denen wir unsere Zeit messen. Besonders prägnant bringt das der 90. Psalm zum Ausdruck: „Ehe denn die Berge wurden und die Erde und die Welt geschaffen wurden, bist du, Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit. … Denn tausend Jahre sind vor dir wie der Tag, der gestern vergangen ist, und wie eine Nachtwache“ (Psalm 90,2.4). Hier unsere irdische Weltzeit – dort die Ewigkeit. Für Gottes Dasein ist nur die Dimension der Ewigkeit angemessen – seine Vorzeitlichkeit, Überzeitlichkeit und Nachzeitlichkeit.

Ewigkeit als Gottes „Zeit“ relativiert unser Zeitempfinden und unsere Wahrnehmungen von Zeit: Tausend Jahre sind für Gott wie der gestrige Tag. Im Vergleich zu dieser Dimension verhält es sich mit unserem Leben wie mit einem Hauch, einigen flüchtigen Stunden (Psalm 90,5f).

Zwischen gemessener und gefühlter Zeit

Dem durch das Messen geschulten Blick erscheint Zeit als eine Folge von Jetztpunkten auf einer ins Unendliche führenden Skala. Die Jetztpunkte werden gemessen, indem man sie in Beziehung zu den Konstellationen der Gestirne setzt. Auf diesem Prinzip basiert der alltägliche Zeitmesser, die Uhr. In vieler Hinsicht beeinflusst das auf Messbarkeit eingestellte Zeitverständnis unsere ganze Lebensführung. Hier muss man allerdings aufpassen und den Unterschied zwischen der messbaren Zeit und dem inneren Zeiterleben beachten. Jeder kennt das Gefühl, dass kurze Augenblicke wie Ewigkeiten erscheinen können und umgekehrt relativ lange Zeitabschnitte wie im Fluge vergehen.

Wer nur nach der Uhr lebt, kann die Offenheit für solche Erfahrungen verlieren. Ihm kann faktisch die Gegenwart abhandenkommen, weil sie ihm auf einen abstrakten Jetztpunkt zwischen Vergangenheit und Zukunft zusammenschnurrt. Dann ist schon der Satz, den ich gerade gesprochen habe, nach dem Verlassen meines Mundes Vergangenheit.

Gegenwart: mehr als hier und jetzt

Wir erleben aber Gegenwart anders, nämlich als „anwesende Zeit“, wobei es relativ gleichgültig ist, wie groß das Zeitintervall ist, das wir als Gegenwart empfinden. Das kann ein ganzer Tag sein, ein schöner Sommer, ein erfülltes Jahrzehnt oder sogar eine ganze Epoche. In historischen Darstellungen kann man die Geschichte des 20. und 21. Jahrhunderts unter der Überschrift „Die Gegenwart“ zur Darstellung bringen.

Erst recht müssen wir uns von dem am Messen orientierten Zeitverständnis lösen, wenn wir verstehen wollen, was Ewigkeit heißt. Wir dürfen hier keineswegs an einen ins Unendliche fließenden Zeitstrom denken. Das ist ein landläufiges Missverständnis, das den starken Unterschied zwischen Unendlichkeit und Ewigkeit nicht beachtet. Von Gott aus gesehen bedeutet Ewigkeit die Quelle und Voraussetzung der Zeit; sie ermöglicht unsere Zeit und kann als „Zeitvollmacht“ verstanden werden.

Gott gibt den Menschen Zeit, indem er sie ins Leben ruft. Und er nimmt ihnen die Zeit, indem er sie wieder zu sich ruft: „Kommt wieder, Menschenkinder“! (Psalm 90,3). Deshalb: „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden“ (Psalm 90,12).

Ewigkeit lässt sich nicht in den uns geläufigen Zeitmodellen unterbringen

So sind Zeit und Ewigkeit so verschieden wie Himmel und Erde. Zeit ist die Grunddimension des Irdischen, der Schöpfung, Ewigkeit hingegen die von aller irdischen Zeitlichkeit strikt zu unterscheidende „zeitanaloge“ Grunddimension Gottes. Eine Beziehung zwischen Ewigkeit und Zeit kann nur der ewige Gott herstellen, indem er erstens im Akt der Schöpfung der Welt Zeit gewährt, indem er zweitens im Akt der Aufhebung der Schöpfung die Weltzeit aufhebt, indem er drittens unserer Zeit koexistiert, sich „mitzeitlich“ macht, geschichtlich handelt und uns „gleichzeitig“ ist, und indem er viertens als „endzeitlich“ Handelnder die der Welt gewährte Zeit in sich zurücknimmt und die geschaffene Wirklichkeit in einer bestimmten Hinsicht – nämlich durch Gnade und Gericht verwandelt – in seine Dimension einbezieht.

Das menschliche Denken steht hier vor den wohl anspruchsvollsten Problemen des Erkennens. Eine angemessene Antwort auf die Frage nach dem „Sein der Zeit“ und der „Zeit des Seins“ würde nicht auf mehr und nicht weniger als auf die Weltformel hinauslaufen.

Der Gedanke der Ewigkeit lässt sich nicht in den uns geläufigen Zeitmodellen unterbringen. Die Art, wie wir hier und jetzt Zeit wahrnehmen, kann also nicht auf die Ewigkeit übertragen werden. So ist die Vorstellung entstanden, dass sich die Abfolge von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft grundlegend verändert. In Gottes „Zeit“ überschneiden sich diese drei Zeitformen, sie falten sich ineinander und verschränken sich in dem einen Augenblick der Erfüllung. Die Frage nach der Langeweile im Himmel, die immer wieder die Phantasie erschreckt hat, wird belanglos. Hier klingen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in den unvorstellbar beglückenden Augenblicken des Ewigkeitslebens zusammen. Ewigkeit erscheint als Inbegriff erfüllter Zeit.

Verheißene Zukunft bei Gott

So bekommt die Frage nach der uns verheißenen Zukunft bei Gott eine erstaunliche Perspektive. Gott ruft uns in unserem Tod aus der Zeit in die Ewigkeit und schenkt uns das ewige Leben. Er holt uns in den Zusammenklang von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft hinein: „… hier muss man die Zeit aus dem Sinn tun und wissen, dass in jener Welt nicht Zeit noch Stunde sind, sondern alles ein ewiger Augenblick“ (Martin Luther). Zwischen hier und dort besteht ein „Zeitbruch“ und genau deshalb kann etwas ganz Neues auch wirklich beginnen.

Gedanklich ist das für unser raumzeitlich gebundenes Denken nicht zu bewältigen. Wir können nur sagen, dass dieser Zeitbruch mit dem Tod kommt und dass das Reich Gottes für den Menschen dann anfängt, wenn er stirbt und aus dieser Zeit abberufen wird.

Der Jüngste Tag kommt also nicht an irgendeinem imaginären Endpunkt der Weltgeschichte. Er ereignet sich für jeden Menschen immer dann, wenn er stirbt, gleichgültig zu welcher Zeit. Diese ganz besondere „Zeitumstellung“ ist mit der Hoffnung verbunden, dass der gnädige Gott uns als seine Kinder erkennt, indem er in seinem Gericht Schuld und Versagen von uns abstreift und uns mit seiner Gnade umfängt.

Michael Beintker (76) war bis 2015 Professor für Systematische Theologie und Direktor des Seminars für Reformierte Theologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.