Gottes Geist in uns

Erst wenn die Geburt Jesu einen im Innersten berührt, kann der Geist Gottes wirken. Diese Einsicht gewinnt Bischof Tilman Jeremias mit dem Mystiker Silesius. Zeit für einen Blick nach Innen.

Gemälde "Anbetung der Hirten" von Gerrit van Honthorst aus dem Pommerschen Landesmuseum in Greifswald
Gemälde "Anbetung der Hirten" von Gerrit van Honthorst aus dem Pommerschen Landesmuseum in Greifswald

In der schönen Reihe über die christlichen Mystiker haben wir in den vergangenen Monaten besondere Menschen kennengelernt. Die Kraft ihres Glaubens kommt unmittelbar aus ihrem Inneren. Sie sind davon überzeugt, dass sie Gott nirgendwo anders finden können als nur in ihrem Seelengrund, mitten in ihrem Herzen.

In der Ausgabe vom 10. November sind wir dabei Angelus Silesius begegnet, der im 17. Jahrhundert in Schlesien gelebt hat. Bis heute ist er auch uns evangelischen Christen wichtig, obwohl er sich enttäuscht vom Protestantismus abgewendet hat und katholisch wurde. Er vermisste gerade in der evangelischen Kirche, was ihm so wichtig war: die innige Verbindung mit Gott im eigenen Inneren. „Abgötterei der Vernunft“, warf er den Protestanten vor.

Für ihn blieb die Mystik Zeit seines Lebens zentral. Und er konnte seine Gedanken wunderbar in zweizeiligen gereimten Sprüchen zusammenfassen, prägnant und leicht zu merken: Halt an, wo läufst du hin, der Himmel ist in dir: Suchst du Gott anderswo, du fehlst ihn für und für.

Gesammelter lässt sich das Grundanliegen der Mystik nicht formulieren: Wir können Gott nirgends anders finden als nur in uns selbst.

Wenn aber Gott in uns wohnt, dann ist auch die Geburt des Sohnes Gottes nicht anders vorstellbar als in unserem Inneren. Angelus Silesius dichtet in seinem berühmten „Cherubinischen Wandersmann“:

Wird Christus tausendmal zu
Bethlehem geboren
und nicht in dir, du bleibst noch ewiglich verloren.

Für Angelus Silesius wird es nicht Weihnachten, wenn wir uns lediglich an ein lang vergangenes Geschehen erinnern. Die Menschwerdung Gottes hat nur dann Bedeutung für mich, wenn sie zu einem Geschehen in meiner eigenen Seele wird. Der Mystiker kann so weit gehen und Marias Mutterleib mit der eigenen Seele gleichsetzen:

Ich muss Maria sein und Gott aus mir gebären,
soll er mir ewiglich die Seligkeit gewähren.

Das ist sicher eine Formulierung, die an Grenzen geht. Ich gebäre Gott aus mir? Klar ist, was das Ziel des schlesischen Denkers ist: Solange die Geschichte Gottes mir äußerlich bleibt, wie ein Gegenstand, den ich betrachten kann, verändert sie mein Leben nicht. Erst wenn die Geburt Jesu mich im Innersten berührt, kann der Geist Gottes wirken. Es gilt, wie wir im Advent singen, unseres Herzens Tür zu öffnen für das Wunder, dass Gott im Neugeborenen von Bethlehem uns nahe kommt.

Bischof Tilman Jeremias
Bischof Tilman JeremiasMarcelo Hernandez / Nordkirche

Wie das gehen kann? Für Mystiker wie Angelus Silesius liegt das nahe. Die Öffnung des Inneren für Gott geschieht in der anbetenden Versenkung. Wenn ich schweige, meditiere, werde ich wach für die Stimme Gottes. In der Stille räume ich meine Seele frei, dass die Gottesgeburt genau dort geschehen kann.

Hilfe kann dazu ein Lied des Schlesiers sein, aus seiner „Heiligen Seelenlust“:

Morgenstern der finstern Nacht,
der die Welt voll Freuden macht,
Jesu mein, komm herein,
leucht in meines Herzens Schrein!
Schau, dein Himmel ist in mir,
er begehrt dich, seine Zier.
Säume nicht, o mein Licht,
komm, komm, eh der Tag anbricht.

Aber auch in unserem Gesangbuch werden wir fündig. Hier finden wir Angelus Silesius unter seinem bürgerlichen Namen Johann Scheffler. Vier Gesangbuchlieder entstammen seiner Feder. Wunderbar weihnachtlich ist die zweite Strophe von EG 401 gedichtet:

Liebe, die du mich erkoren, eh ich noch geschaffen war,
Liebe, die du Mensch geboren und mir gleich wardst ganz und gar:
Liebe, dir ergeb ich mich,
dein zu bleiben ewiglich.

Ich bin davon überzeugt, dass der radikale Weg in das Innere, den die Mystik uns empfiehlt, ein heilsames Gegengewicht ist zu einer Umwelt, die im Äußeren und im Materiellen zu versinken droht. Es kommt nicht auf die Leistung an, nicht auf Erfolg, Reichtum, Ruhm und Schönheit. Das Eigentliche im Leben ist nicht von außen sichtbar, wenn es auch äußere Folgen hat.

Entscheidend ist, ob das Licht der Weihnacht, das innere Feuer der göttlichen Liebe, in einem Menschen brennt. Ob Jesus geboren wird in uns. Das lässt sich nicht erzwingen. Es ist Gottes Gabe. Daran erinnert uns der Mystiker Angelus Silesius. Mit seinen Worten können wir dankbar in den Kanon einstimmen (EG 411):

Gott, weil er groß ist, gibt am liebsten große Gaben,
ach, dass wir Armen nur so kleine Herzen haben.“

Ich wünsche Ihnen ein gesegnetes und friedliches Weihnachtsfest, bei dem Ihre Seele zur Ruhe kommen darf und von Gottes Liebe erfüllt wird!
Ihr Bischof Tilman Jeremias