Gott im anderen

Andacht über den Predigttext zum 8. Sonntag nach Trinitatis: 1. Korinther 6, 9-14.18-20

Alfred Nesswetha - stock.adobe.c

Predigttext
9 Das müsstet ihr doch eigentlich wissen: Wer Unrecht tut, wird keinen Anteil an Gottes Reich erben. Macht euch nichts vor! Das betrifft Menschen, die in verbotenen sexuellen Beziehungen leben, die Götzen dienen oder die Ehe brechen. Das betrifft auch Männer, die sich wie Frauen verhalten oder mit Männern schlafen. 10 Und das betrifft Diebe, Habgierige, Säufer und Menschen, die andere verleumden oder berauben. Sie alle werden keinen Anteil am Reich Gottes erben. 11 (…) Nochmals zu sexuellem Fehlverhalten: Der Körper des Christen gehört Gott 12 „Ich darf alles!“ – Aber das heißt nicht, dass auch alles gut für mich ist. „Ich darf alles!“ – Aber das bedeutet nicht, dass ich mich von irgendetwas beherrschen lasse. (…) 18 Hütet euch vor verbotenen sexuellen Beziehungen! Jede andere Schuld, die ein Mensch auf sich lädt, betrifft nicht seinen Leib. Wer aber in verbotenen Beziehungen lebt, wird schuldig an seinem eigenen Leib. 19 Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist? Der ist in euch, Gott hat ihn euch geschenkt! Nun gehört ihr nicht mehr euch selbst. 20 Gott hat euch freigekauft. Sorgt also dafür, dass euer Leib Gott Ehre erweist! (Übersetzung der BasisBibel)

Ach Paulus, grummele ich. Es macht mich wütend, wenn du Verbrecher (Diebstahl, Raub) mit Menschen auf eine Stufe stellst, die anders leben (der Prostitution nachgehen oder sie anbieten, die eine gleichgeschlechtliche Sexualität leben) oder denen ihr Leben entglitten ist (die, dem Alkohol verfallen, die untreu werden).
Das geht mir zu weit! Für mich sind nicht alle gleich Verbrecher, nur weil sie mich in meinem Christsein herausfordern oder weil sie Fehler machen in ihrem Leben. Am meisten bleibe ich hängen an den „verbotenen sexuellen Beziehungen“. Luther übersetzt drastischer: „Flieht die Hurerei! (…) wer aber Hurerei treibt, der sündigt.“ Keinem Land ist es bisher gelungen, den Kauf und Verkauf sexueller Dienstleistungen nachhaltig zu unterbinden. Bis heute ist der Umgang damit unterschiedlich. Er reicht von strafrechtlicher Verfolgung über Mischformen der staatlichen Kontrolle bis hin zu völliger gesellschaftlicher Akzeptanz.

In der Bibel ist das ähnlich. Im hebräischen Teil fällt auf, dass Prostitution häufig nicht bewertet wird. Oft bleiben die Frauen namenlos. Es sind Frauen, die am Rand der Gesellschaft leben, aber toleriert werden. Eine Prostituierte hat es in den Stammbaum Jesu geschafft – Tamar (Matthäus 1). Sie ist eine der vier Frauen neben Maria, deren Söhne Teil der Generationenfolge von Abraham bis Jesus sind. Sie verschafft sich auf besondere Weise Recht und Gott segnet ihre Klugheit und List
(1. Mose 38).

Zweifellos gehört Prostitution nicht zu den ethisch unbedenklichen Formen von Sexualität. Da hat Paulus schon recht. Hier geht es nicht um gelebte Beziehung, um Verlässlichkeit und gegenseitige Verantwortung. Wirkliche andauernde Lebenszufriedenheit wird aus diesen Begegnungen nicht erwachsen. Wenn sich aber zum Beispiel einsame, alte oder behinderte Menschen Sexualität wünschen und dies nur mit gekaufter Sexualität umsetzen können, sind sie dann gleich alle Verbrecher und des Reiches Gottes unwürdig?

Eine ethische Bewertung der Prostitution ist schwierig, denn es gilt zu unterscheiden zwischen freiwilliger und erzwungener Prostitution. Letztere ist durch Zwang, Gewalt und Ausbeutung bestimmt und vehement zu verurteilen und zu bestrafen. Hier wird Leben unwiderruflich zerstört. Aber was ist mit dem Teil des Sexgewerbes, den Menschen freiwillig anbieten (und ja, über das Maß der Freiwilligkeit wäre zu diskutieren). Es treffen sich Menschen, die offen aushandeln, was sexuell gewünscht wird und was dafür zu bezahlen ist. Und unter diesen gibt es auch Christenmenschen!

Ich will genauer hinschauen und hinhören. Überall dort, wo Zwang und Missbrauch ausgeübt werden, Menschen zur Ware werden – gilt es klar Stellung zu beziehen. Aber ich möchte auch, dass wir als Kirche Orte schaffen, wo wir über Sexualität als gute Gabe Gottes reden, über unsere Leiber als Tempel Gottes und unsere körperlichen Sehnsüchte und Bedürfnisse. Ich will Gottes Geist in den Menschen entdecken, die anders sind, die mich und meinen Glauben irritieren. Ja, und ich will diesen Menschen Raum geben, Gottes Geist auch in sich selbst zu entdecken und ihren Platz bei Gott zu finden.

„Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ Das hast du doch selbst erfahren, Paulus, und so will ich Menschen begegnen in meinem Leben und in meiner Kirche. Mit der Gnade Gottes, die ich selbst immer wieder erfahre, und mit Liebe, die Gottes Geistkraft in mich gelegt hat.