“Goldener Löwe” von Venedig geht an Drama “The Room Next Door”

Die Jury verbeugt sich beim 81. Filmfestival in Venedig vor Pedro Almodovar und seinen beiden Hauptdarstellerinnen Tilda Swinton und Julianne Moore. Ein Blick auf die Preisträger.

Der “Goldene Löwe” des 81. Filmfestivals von Venedig geht an das Drama “The Room Next Door” von Pedro Almodovar. Tilda Swinton und Julianne Moore spielen darin zwei Freundinnen, von denen eine die andere beim Sterben begleitet. Die Jury unter Isabelle Huppert zeigte aber auch ein Herz für sperrigere Arbeiten wie “The Brutalist” von Brady Corbet oder politisch Relevantes wie “I’m Still Here” von Walter Salles.

An dem stilvollen Auftritt von Julianne Moore und Tilda Swinton sowohl auf der Kinoleinwand wie auch in Persona auf dem Lido von Venedig war bei der 81. “Mostra internazionale d’arte cinematografica” kein Vorbeikommen. Nachdem die Hauptdarstellerinnen bei der Premiere mit nicht enden wollendem Applaus gefeiert worden waren, konnte auch der spanische Regisseur Pedro Almodovar bei der Abschlussgala am Samstag den “Goldenen Löwen” in Empfang nehmen.

Der Film um zwei langjährige Freundinnen, von denen eine (Swinton) an Krebs erkrankt ist und ihrem Leben ein Ende setzen will, verhebt sich ein wenig an seinem Thema. Das Für und Wider der Entscheidung ist nicht Almodovars Sache. Es ist bezeichnend, dass das einzige wirkliche Contra von einem denkbar unsympathisch gezeichneten Polizisten kommt, der nach dem Tod der Kranken der Freundin eine Mitschuld anlasten will. Dabei hat er nicht viel Differenzierteres beizutragen, als dass der selbstgewählte Tod gegen das Gesetz und gegen göttliches Gebot verstoße.

Der Film feiert stattdessen die das Leben wie das Sterben umfassende Souveränität und die Solidarität zweier Frauen. Und das mit einem Overkill an Stil und Schönheit, der “The Room Next Door” zum wohl glamourösesten Film des diesjährigen Wettbewerbs machte.

Auch darüber hinaus dürfte die 81. “Mostra” als Feier der großen Kino-Diven in die Geschichte eingehen. Nachdem es 2023 in Folge des US-amerikanischen Schauspielerstreiks relativ ruhig auf dem roten Teppich zuging, sorgten in diesem Jahr vor allem Frauen wie Angelina Jolie (“Maria”), Cate Blanchett (“Disclaimer”) und Nicole Kidman (“Babygirl”) dafür, dass klatschende Fan-Hände und Fotokameras heiß liefen.

Kidman gewann für ihren Part im Erotikdrama “Babygirl” den Preis der besten Darstellerin. “Babygirl” ist zwar nicht der ganz große Wurf, weil er beim Versuch, die Obsessionen der weiblichen Hauptfigur auszuloten, seltsam halbherzig verfährt. Doch Kidmans Darstellung, die sehr offen mit ihrer gebotoxten Erscheinung spielt, ist durchaus beachtlich.

Es gab auch eine “Mostra” jenseits des Star-Glamours. In vielen Filmen ging es um die Zerbrechlichkeit von Demokratien, die Verführungskraft rechter Ideologie und die Gewalt, die diktatorische Regime im 20. Jahrhundert entfesselt haben. Von Andres Veiels “Riefenstahl” bis zu der Serie “M – Il figlio del secolo”, die vom Aufstieg Benito Mussolinis handelt, zog sich das als wichtigster roter Faden durch den Wettbewerb.

Der aufregendste Film ist sicherlich Brady Corbets 70mm-Mammutfilm “The Brutalist” um einen ungarisch-jüdischen Architekten (Adrien Brody), der die Schoah überlebt und in die USA emigriert, um sich dort bei einem ambitionierten Bauprojekt im Bann eines Herrenmenschen kapitalistischer Prägung wiederzufinden. Corbet hat viel Herzblut in diese Arbeit gesteckt. Der “Silberne Löwe” für die beste Regie ist eine schöne Belohnung dafür.

Der Preis fürs beste Drehbuch ging an Murilo Hauser und Heitor Lorega, die Autoren von “I’m Still Here”. Der Film kreist auf emotional packende Weise um die Zeit der Militärdiktatur in Brasilien. Im Zentrum steht die Familie des ehemaligen Abgeordneten Rubens Paiva, den das Regime in den 1970er-Jahren verschwinden ließ.

Zu den Preisträgern gehört auch Vincent Lindon, der als bester Darsteller in dem Drama “Jouer avec le feu” von Muriel Coulin und Delphine Coulin geehrt wurde. Der Film dreht sich um einen Vater und seine beiden fast erwachsenen Söhne in Lothringen, zwischen denen sich ein fataler Graben auftut, als einer der Jugendlichen sich einer rechtsextremistischen Gruppe anschließt. Lindon spielt den Vater, der als Streckenwart für die Bahn tätig ist. Er will seinen Sohn aus der Gruppe herausziehen. Doch ihm fehlen auf tragische Weise die Worte, während sich der Sohn umso mehr verschließt, je mehr er sich in Frage gestellt fühlt.

Als dann zum Ende des Festivals in der Serie “M – Il figlio del secolo” von Joe Wright der Geist des italienischen Diktators Benito Mussolini heraufbeschworen wurde, lief es einem fast kalt den Rücken hinunter. Die achtteilige Serie kreist um den Aufstieg des “Duce”. Allerdings präsentiert er nicht nüchternen Geschichtsstoff, sondern eine grotesk-gruselige Mischung aus Commedia dell’arte mit Mussolini als überheblichem “Dottore”, Shakespeares “Richard III” und einem Hauch von “Die 120 Tage von Sodom”-Bitterkeit, wenn die Gewaltexzesse der faschistischen Schwarzhemden drastisch bebildert werden.

Die Serie gipfelt in Ereignissen vor ziemlich genau 100 Jahren, als der skrupellose Mord an Mussolinis politischem Gegner Giacomo Matteotti das Regime angesichts der öffentlichen Empörung ins Wanken brachte. Bis es Mussolini schließlich doch gelang, die Zügel wieder in die Hand zu nehmen.

“M – Il figlio del secondo” endet mit einer Parlamentssitzung im Frühjahr 1925, wo noch einmal die Chance bestanden hätte, den Diktator herauszufordern und Anklage gegen ihn zu erheben. Doch die Drohung von Gewalt lässt die Abgeordneten stumm blieben. “Silenzio?”, fragt Mussolini-Darsteller Luca Marinelli spöttisch-herausfordernd und wendet sich aus der Handlung heraus frontal ans Publikum. Nein, will man ihm erwidern. Nicht in Venedig. Nicht noch einmal.